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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
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klopfen, und er wäre am liebsten losgerannt – ganz gleich, wohin, Hauptsache weit weg von der Entscheidung, die er getroffen hatte und die sich plötzlich wie ein schwerer eiserner Kragen um seinen Hals legte.
    »Es wird Zeit, dass ich mich an die Arbeit mache. Ich lasse euch in Ruhe euren Toast essen«, sagte er und verließ langsam das Zimmer, damit es nicht nach Flucht aussah.

Kapitel 14
    Als Toms zweite dreijährige Dienstzeit 1927 kurz vor Weihnachten endete, machte sich die Familie auf die Reise von Janus Rock nach Point Partageuse, während eine Vertretung im Leuchtturm die Stellung hielt. Es war der zweite Landurlaub des Paars und würde Lucys erste Fahrt zum Festland sein. Während Isabel alles für die Ankunft des Schiffs vorbereitete, spielte sie mit dem Gedanken, eine Ausrede zu erfinden, um mit dem kleinen Mädchen auf der sicheren Insel bleiben zu können.
    »Hast du etwas, Izz?«, fragte Tom, als er sah, dass sie vor dem Bett mit dem offenen Koffer stand und mit ausdrucksloser Miene aus dem Fenster starrte.
    »Nein, nein«, erwiderte sie rasch. »Ich vergewissere mich nur, dass ich nichts vergessen habe.«
    Er wollte schon hinausgehen, kehrte aber noch einmal um und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Nervös?«
    Sie griff nach einem Paar Socken und rollte es zusammen. »Nein, überhaupt nicht«, antwortete sie und legte die Socken in den Koffer. »Überhaupt nicht.«
    Das Unbehagen, das Isabel Tom zu verheimlichen versucht hatte, legte sich beim Anblick von Lucy in Violets Armen, als ihre Eltern sie vom Landungssteg abholten. Ihre Mutter weinte, lächelte und lachte gleichzeitig. »Endlich!« Mit einem ehrfürchtigen Kopfschütteln untersuchte sie das Kind von Kopf bis Fuß und berührte sein Gesicht, sein Haar und seine kleine Hand. »Meine wundervolle Enkelin. Fast zwei Jahre musste ich warten, bis ich dich endlich zu sehen bekomme! Ist sie meiner alten Tante Clem nicht wie aus dem Gesicht geschnitten?«
    Isabel hatte Monate damit verbracht, Lucy auf die Begegnung mit Fremden vorzubereiten. »In Partageuse gibt es viele, viele Menschen, Luce. Und sie werden dich alle gern haben. Vielleicht ist es am Anfang ein bisschen seltsam, aber du brauchst dich nicht zu fürchten.« Vor dem Schlafengehen hatte sie dem kleinen Mädchen Geschichten von der Stadt und ihren Bewohnern erzählt.
    Lucy war sehr neugierig auf die zahlreichen Leute, die plötzlich um sie herumwimmelten. Isabel wurde ein wenig unbehaglich, als ihr alle zu ihrer hübschen Tochter gratulierten. Selbst die alte Mrs. Mewett kitzelte das kleine Mädchen unter dem Kinn, als sie sie in der Kurzwarenhandlung trafen, wo sie gerade ein Haarnetz erwerben wollte. »Ach, Kinder«, seufzte sie wehmütig. »Ein Geschenk Gottes.« Isabel traute ihren Ohren nicht.
    Kurz nach ihrer Ankunft schleppte Violet die ganze Familie zu Gutcher’s Fotostudio. Vor einer mit Farnen und griechischen Säulen bemalten Leinwandkulisse wurde Lucy mit Tom und Isabel, mit Bill und Violet und allein in einem riesigen Rattansessel fotografiert. Anschließend bestellte man Abzüge, um sie nach Janus mitzunehmen, an Cousins nah und fern zu schicken oder sie eingerahmt auf den Kaminsims und aufs Klavier zu stellen. »Drei Generationen Graysmark-Frauen«, verkündete Violet strahlend beim Anblick des Fotos, auf dem sie, neben Isabel sitzend, Lucy auf dem Knie hielt.
    Lucy hatte Großeltern, die sie vergötterten. Gott macht keine Fehler, dachte Isabel. Er hatte das kleine Mädchen an den richtigen Ort geschickt.
    »Oh, Bill«, sagte Violet am Abend der Ankunft zu ihrem Mann. »Dem Himmel sei Dank. Dem Himmel sei Dank …«
    Violet hatte ihre Tochter zuletzt vor drei Jahren beim ersten Landurlaub des Paars gesehen, als sie noch wegen ihrer zweiten Fehlgeburt getrauert hatte.
    »Das ist eben die Natur«, hatte Violet erklärt. »Du musst tief durchatmen und weitermachen. Wenn Gott es so will, wirst du Kinder bekommen. Sei einfach geduldig und bete. Denn beten ist das Allerwichtigste.«
    Allerdings hatte sie Isabel einen Teil der Wahrheit vorenthalten und ihr verschwiegen, wie oft sie miterlebt hatte, dass ein Kind trotz eines sengend heißen Sommers oder bitterkalten Winters ausgetragen worden war, nur um an Scharlach oder Diphterie zugrunde zu gehen. Dann wurden die Kleidchen ordentlich weggepackt, bis sie vielleicht dem Nachfolger passten. Auch erwähnte sie nicht, in welche Verlegenheiten man geraten konnte, wenn sich jemand beiläufig erkundigte, wie viele Kinder man

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