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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
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sagte Ralph.
    »Aber Ralph!«, schalt Hilda. Um das Thema zu wechseln, wandte sie sich mitleidig einem neuen Grabstein zu, der nur wenige Meter entfernt stand. »So ein Jammer.«
    »Was ist, Hilda?«, fragte Isabel.
    »Oh, das arme Baby und sein Vater. Alle beide ertrunken. Wenigstens haben sie jetzt endlich einen Grabstein.«
    Isabel erstarrte. Im ersten Moment befürchtete sie, in Ohnmacht zu fallen, und die Geräusche um sie herum klangen plötzlich erst ganz weit entfernt, dann wieder dröhnend laut. Sie versuchte, den leuchtend goldenen Buchstaben auf dem Stein einen Sinn zu entnehmen. » In liebendem Gedenken an Franz Johannes Roennfeldt, innig geliebter Ehemann von Hannah, und ihre reizende Tochter Grace Ellen. Behütet von Gott. « Und darunter: » Selig sind, die da Leid tragen. « Am Fuße des Grabsteins lagen frische Blumen. Angesichts der Hitze konnten sie vor höchstens einer Stunde hinterlassen worden sein.
    »Was ist geschehen?«, erkundigte sie sich, während ihre Hände und Füße zu prickeln begannen.
    »Ach, eine Tragödie«, erwiderte Ralph und schüttelte den Kopf. »Hannah, geborene Potts.« Isabel erkannte den Namen sofort. »Septimus Potts, der Geldsack, wie ihn alle nannten. Der reichste Mann im Umkreis hier. Er ist vor gut fünfzig Jahren als mittelloser Waisenjunge aus London gekommen und hat mit Holz ein Vermögen verdient. Seine Frau starb, als die beiden Töchter noch klein waren. Wie hieß die andere noch mal, Hilda?«
    »Gwen. Hannah ist die ältere. Die beiden haben ein teures Internat in Perth besucht.«
    »Dann, vor ein paar Jahren, hat Hannah ausgerechnet einen Deutschen geheiratet … Tja, der alte Potts hat danach kein Wort mehr mit ihr gewechselt und ihr den Geldhahn zugedreht. Sie haben in der heruntergekommenen Hütte neben dem Wasserwerk gewohnt. Nach der Geburt des Babys hat sich der Alte allerdings wieder beruhigt. Jedenfalls ist es im vorletzten Jahr am Heldengedenktag zu einer kleinen Rangelei gekommen …«
    »Nicht jetzt, Ralph.« Hilda wies ihn mit einem Blick zurecht.
    »Ich erzähle ihnen doch nur …«
    »Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt und Ort.« Sie wandte sich an Isabel. »Sagen wir einfach, es hat zwischen Frank Roennfeldt und einigen Einheimischen ein Missverständnis gegeben, worauf er mit dem Baby in ein Ruderboot gesprungen ist. Sie … nun, sie haben es ihm krummgenommen, dass er Deutscher war. Oder wenigstens beinahe. Es ist überflüssig, genauer darauf einzugehen. Nicht bei einer Taufe. Am besten vergessen wir die Angelegenheit.«
    Isabel hatte mit angehaltenem Atem zugehört und schnappte nun unwillkürlich nach Luft, da ihr Körper nach Sauerstoff verlangte.
    »Ja, ich weiß!«, stimmte Hilda zu. »Und es kommt noch schlimmer …«
    Tom warf Isabel einen eindringlichen Blick zu. Seine Augen waren weit aufgerissen, und Schweißperlen standen ihm auf der Oberlippe. Er fragte sich, ob die anderen wohl sein Herz schlagen hören konnten, so wild pochte es.
    »Nun, der Bursche war kein Seemann«, fuhr Ralph fort. »Offenbar hatte er schon seit seiner Kindheit ein schwaches Herz und war der Strömung hier nicht gewachsen. Ein Sturm kam auf, und die beiden wurden nie wieder gesehen. Sicher sind sie ertrunken. Der alte Potts hat eine Belohnung für Hinweise ausgesetzt: eintausend Guineen!« Er schüttelte den Kopf. »Das hätte wohl jeden aufgescheucht, der etwas wusste. Ich habe mir sogar überlegt, ob ich selbst suchen soll! Ich bin zwar nicht unbedingt ein Freund der Deutschen … aber ein Baby … knapp zwei Monate alt. Einem Baby kann man wohl kaum einen Vorwurf machen, oder? Der kleine Wurm.«
    »Die arme Hannah hat sich nie von dem Schock erholt.« Hilda seufzte. »Ihr Vater hat sie erst vor ein paar Monaten dazu überreden können, den Grabstein aufzustellen.« Sie hielt inne, um sich die Handschuhe hochzuziehen. »Seltsam, wie das Leben so spielt. Sie ist mit mehr Geld geboren, als man zählen kann, hat an der Universität von Sydney irgendeinen Abschluss gemacht und die Liebe ihres Lebens geheiratet – und jetzt sieht man sie manchmal durch die Stadt irren, als hätte sie kein Zuhause.«
    Isabel fühlte sich, als hätte sie jemand in Eiswasser gestoßen, und die Blumen auf dem Grab – ein Hinweis, dass die Mutter ganz in der Nähe war – schienen sie zu verhöhnen. Ihr wurde schwindelig, sodass sie sich an einen Baum lehnen musste.
    »Ist dir nicht gut, Kind?«, erkundigte sich Hilda.
    »Alles in Ordnung. Es ist nur die Hitze.

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