Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Liebesleben der Hyäne

Das Liebesleben der Hyäne

Titel: Das Liebesleben der Hyäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
nach einer Weile nicht mehr. Eine vertraute Stimme wurde einem so gleichgültig wie ein krummer Fingernagel.
    Tammie nahm ihren Spiegel heraus und fing an, sich die Haare zu kämmen. Die Stewardeß tätschelte ihr die Schulter. Ich stand auf und holte die Kleider oben aus der Ablage. Die beiden Plastiktaschen waren auch da oben. Tammie sah immer noch in den Spiegel und kämmte sich.
    »Tammie, wir sind in New York. Komm, wir müssen raus.«
    Sie kam aus ihrem Tran hoch, ging rasch nach vorn und verschwand durch die Ausstiegsluke. Ich griff mir die Kleider und die Plastiktaschen und folgte ihrem schlingernden Hintern.

61
    Unser Mann war da, um uns abzuholen. Er hieß Gary Benson, schrieb Gedichte und fuhr ein Taxi. Er war sehr fett, aber wenigstens sah man ihm den Dichter nicht an, er sah nicht nach North Beach oder East Village oder nach Englischlehrer aus, und das half, denn in New York war es an diesem Tag sehr heiß, fast 43 Grad.
    Wir holten das Ungetüm mit den Reißverschlüssen und stiegen in seinen Wagen (er war nicht mit seinem Taxi gekommen), und er erklärte uns, daß es beinahe sinnlos sei, in New York einen eigenen Wagen zu haben. Deshalb gebe es auch so viele Taxis. Wir fuhren in Richtung Stadt, und die Autofahrer von New York waren genau wie ihre Stadt – keiner kümmerte sich einen Scheißdreck, und keiner gab einen Zentimeter nach. Sie fuhren Stoßstange an Stoßstange und kannten kein Mitleid und keine Rücksicht. Ich begriff auch, warum: Wenn einer nur einen Zentimeter nachgab, würde er ein Verkehrschaos auslösen, und es würde Mord und Totschlag geben. In endlosen Schlangen schoben sich die Autos durch die Straßen, wie Kotklumpen in einer Kloake. Es war ein erstaunlicher Anblick. Und keiner der Fahrer verlor die Beherrschung. Sie fanden sich einfach mit den Tatsachen ab.
    »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern ein Interview mit dir machen, für den Rundfunk«, sagte Gary.
    »Is gut, Gary. Morgen. Erst will ich mal die Lesung hinter mich bringen.«
    »Wir holen jetzt den Typ ab, der die Lesungen organisiert. Er hat sich um alles gekümmert. Er wird dir sagen, wo du wohnst, undsoweiter. Er heißt Marshall Benchly. Ich kann den Kerl nicht riechen – aber sag es nicht weiter.«
    Wir kamen nach Manhattan rein, und schließlich sahen wir Marshall Benchly vor einem teuren Wohnhaus stehen, das ihm vermutlich gehörte. Er sah aus wie ein Sonntagsdichter, der von einer dicken Erbschaft lebte und in seinem Leben noch nie einen Finger krumm gemacht hatte. Er war affektiert und glatt wie ein Kieselstein. Man konnte hier nirgends parken. Er sprang zu uns ins Auto, und Gary fuhr weiter.
    »Wir bringen Sie jetzt in Ihr Hotel«, sagte Benchly.
    Stolz rezitierte er mir eine lange Liste von Leuten, die bereits in meinem Hotel gewohnt hatten. Manche Namen sagten mir etwas. Die meisten waren mir unbekannt.
    Gary hielt in der Ladebucht vor dem Chelsea Hotel. Wir stiegen aus. »Wir sehn uns dann bei der Lesung«, sagte Gary. »Und morgen natürlich.«
    Marshall ging mit uns rein zum Empfang. Das Chelsea wirkte reichlich verlottert. Vielleicht übte es gerade deshalb auf manche Leute so einen Reiz aus.
    Marshall drehte sich um und gab mir den Schlüssel.
    »1010. Das ist das alte Zimmer von Janis Joplin.«
    »Danke.«
    »In 1010 haben schon viele große Künstler gewohnt.«
    Er ging mit uns rüber zu dem kleinen Fahrstuhl.
    »Die Lesung ist um 8. Ich hole Sie hier um halb 8 ab. Wir sind seit zwei Wochen ausverkauft. Es gibt nur noch Stehplätze. Aber damit müssen wir vorsichtig sein, wegen den Brandschutzbestimmungen.«
    »Marshall, wo ist hier der nächste Spirituosenladen?«
    »Hier vorne raus und gleich rechts um die Ecke.«
    Wir verabschiedeten uns von Marshall und fuhren mit dem Aufzug nach oben.

62
    Am Abend war es immer noch heiß. Ich sollte in der St. Mark’s Church lesen. Dort saßen wir nun in der ehemaligen Sakristei, die jetzt als Garderobe diente. An der einen Wand lehnte ein mannshoher Spiegel. Tammie stellte sich davor und machte an ihrer Frisur herum. Marshall ging mit mir hinaus, hinter die Kirche, wo einige Gräber waren. Aus der Erde ragten kleine Grabsteine, in die verschiedene Inschriften eingemeißelt waren. Marshall machte mit mir die Runde und zeigte mir die Inschriften. Ich war vor einer Lesung immer nervös, sehr angespannt, mit einem flauen Gefühl im Magen, und ich mußte mich fast jedesmal übergeben. So auch an diesem Abend. Es platschte auf eines der Gräber.
    »Sie haben

Weitere Kostenlose Bücher