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Das Liebesspiel

Das Liebesspiel

Titel: Das Liebesspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn C Tripp
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das ich nicht spüren möchte. Der Pfirsich in meiner Hand ist feucht, gelbbraune Wülste ziehen sich über seinen Pelz. Gedanken wie Schmutz in meinem Kopf.
    »Da ist etwas gerissen, ich glaube nicht, dass das wiedergutzumachen ist …«
    So drückten sie sich aus. Diese Frauen unten im Point Market, als mein Vater mich einmal dorthin mitnahm, um eine Coffee Milk zu holen. Ich muss ungefähr zehn gewesen sein. Er bezahlte die Milch, ging nach draußen auf die Veranda, um mit Ernie Mason zu quatschen und eine zu rauchen. Ich trödelte noch in der kühlen, dumpfen Dunkelheit des Ladens herum, blätterte in den Superhelden-Comics auf einem Ständer neben den Süßigkeiten für die bunte Tüte. Die Glocke klingelte, einmal, zweimal, es kam jemand herein, jemand ging hinaus, im Gang standen zwei Frauen, eine mit einer Dose Bohnen, die andere kaufte Milch. Ich kannte sie nicht – sie sprachen über eine dritte Frau, deren Namen ich nicht mitbekam, dass sie einen Knacks bekam, als sie ihr Baby verlor, den kleinen Samuel, wie tragisch das war, dieses Fieber, das aufs Gehirn schlug, es ging so schnell, im Handumdrehen war er nicht mehr da, und der arme Carleton – hier spitzte ich die Ohren, neugierig zu erfahren, wer es denn nun war, über den sie sprachen, jemand, der denselben Namen hatte wie mein Vater –, ich muss einen Schritt näher getreten sein und da bemerkte mich eine der Frauen, kniff die Lippen zusammen, und die andere, die weitersprach, spürte, dass etwas nicht stimmte, drehte sich um und erkannte mich, und es war so ein Augenblick – diese beiden Frauen, mir fremd, die mich mit so einer sonderbaren Mischung aus Scham und Mitleid ansahen, dass ich das, was mir niemals in den Sinn gekommen wäre, plötzlich verstand. Ich umklammerte die Flasche mit Coffee Milk so fest, dass ich den kühlen Hals hätte abbrechen können, und ging nach draußen zu meinem Vater.
    Ich bewahrte das Geheimnis (was hätte ich sonst tun sollen?), fragte nie danach, keinen von beiden, erwähnte es nicht gegenüber Alex, sprach nicht über unseren Bruder. Doch heimlich durchsuchte ich das Haus, stöberte in Schränken, Kommoden, Kisten auf dem Speicher, in Büchern, die sie las, suchte nach einem Gekritzel am Rand, einem Foto, einem Zettel, irgendeinem Beweis, der seinen Namen trug, aber fand nichts, keine einzige Spur, dennoch erkannte ich, ohne es in Worte fassen zu können, dass die kleinen Kindersachen in der alten Schreibtischschublade, die ich sie einst hatte falten und auseinandernehmen sehen, von ihm waren; er war das Flüchtige, eines jener verschwommenen Nicht-Wesen, die man manchmal aus dem Augenwinkel vorbeihuschen sieht, und gleichzeitig erkannte ich – das ging allerdings langsamer, als ich nachzurechnen begann –, dass ich geboren worden war, um ihn zu ersetzen. Erst als ich älter war, ging ich am naheliegendsten Ort suchen und fand seinen Namen und seine Daten auf dem kleinen Stein.
    Ich erzählte es Alex, denn ich wusste, dass er alt genug gewesen war, um sich zu erinnern.
    Er reagierte mit einem Achselzucken. »Und?«, sagte er, dann: »He, hast du meine Schlüssel gesehen?«
    Ich sitze auf der Bank im Garten und warte, dass mein Bruder verschwindet. In mir ist Dunkelheit, mein Kopf ist blank gescheuert. Die Sonne nagt an meinen Füßen und am ausgefransten Saum meiner Jeans. Mit dem Messer schäle ich die Haut vom Pfirsich. Die mochte ich noch nie. Diese fusselige Beschaffenheit, ihre Mehligkeit. Ich sehe zu, wie die Frucht in meiner Hand unter der Klinge schrumpft, löse die Schale so ab, dass sie sich in einem langen Band abrollt.
    Sonntag. Montag. Dienstag. Mein Papier kommt. Ich schlitze das Paketband auf. Kisten. Unzählige Blätter. Hundertzwanzig Vögel, hundertdreißig. Kleinere Arten jetzt. Schlichter, vertrauter. Spatzen. Stare. Pummelige Körper, zum Ende des Sommers rund geworden durch Insekten und die Beeren der Wachsmyrte. Vögel, die ich schon mein Leben lang gesehen habe auf ihren Zügen, gesehen und doch nicht gesehen. Sie sammeln sich in Schwärmen auf dem Boden des Zimmers, zusammen mit den Möwen und japanischen Kranichen. Das Zimmer ist so voll, dass ich mich einen Moment lang sorge, es könnte abheben, davonfliegen.
    Ich fahre zum Restaurant, um meinen Gehaltsscheck abzuholen. Auf dem Rückweg nehme ich den Highway. Ich fahre langsamer als nötig – hinter mir ist ein silberner Altima, ein junges Mädchen am Steuer klopft aufs Lenkrad, ungeduldig, hat ein leicht genervtes Gesicht,

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