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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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verschränkt. Der erste Reiseführer hatte einem neuen Platz gemacht und er hatte ihn rasch durchgeblättert, sich dann zurückgelehnt, sich müde das Gesicht gerieben und war dann anscheinend in tiefen Schlaf gesunken. Sie schaute aus dem Fenster und sah tief unten auf dem tiefblauen gekräuselten sonnengewärmten Mittelmeer den winzigen Schatten des Flugzeugs tanzen. Sie wagte einen zweiten Blick auf das Gesicht ihres Nachbarn. Im Schlaf war es weniger anziehend als im Wachzustand. Die Falten hingen schwer nach unten, der Mund war zusammengepresst und traurig, ein fast spürbares Gewicht lastete auf den Zügen. Sie wandte sich wieder ihrem Buch zu, voller Neid auf seine Fähigkeit zu schlafen. Noch zwei oder drei Stunden lagen vor ihnen und ihre Muskeln sehnten sich bereits danach, aus der verkrampften Sitzhaltung befreit zu werden.
    Als sie sich nach oben zu den Schaltern reckte, um etwas kühlere Luft zu bekommen, bemerkte sie plötzlich, dass seine Augen geöffnet waren und sie ansahen. Er lächelte und sie hob ein wenig die Mundwinkel. Sie wollte ihm damit nicht mehr als ein Gefühl sachter Freundlichkeit und Sympathie in diesen engen, zu intimen Sitzverhältnissen vermitteln. Als ihr gerade eine unverfängliche Bemerkung einfiel, schaute er wieder weg und schloss die Augen.
    Sie zuckte die Achseln und stöberte in ihrer Tasche nach Louisas Tagebuch. Sie hatte es sich für die Reise aufgespart.
    Vielleicht war dies der richtige Moment, um damit anzufangen.
    Es war in Leder gebunden und hatte dickes Papier mit Büttenrand, dass stellenweise blassbraune Flecken aufwies.
    Andächtig schlug sie die erste Seite auf und begann die schwungvolle, schräg gestellte Schrift zu lesen.
    »15. Februar, 1866: So hat nun also das Schiff Luxor erreicht, und ich verlasse hier meine Reisegenossen, um mich den Forresters anzuschließen. Morgen früh werden meine Kisten auf die Ibis gebracht, die bereits in der Nähe angelegt hat. Die Decks sind leer, nicht einmal die Mannschaft ist da und das Schiff sieht verlassen aus. Es wird wundervoll sein, endlich einmal Ruhe zu haben, besonders nach dem ständigen Gerede von Isabella und Arabella, mit denen ich in all diesen Wochen seit Kairo die Kabine teilen musste. Sie nehmen ein Paket Skizzen und Bilder auf ihrem Schiff mit zurück, und ich hoffe, so bald wie möglich im Tal der Gräber eine neue Serie von Zeichnungen anfangen zu können. Der britische Konsul hat mir einen Dragoman versprochen, und die Forresters sollen ein freundliches, älteres Ehepaar sein, das mich gerne mitreisen lässt, ohne mich beim Zeichnen allzu sehr zu stören. Die Tageshitze, die zunächst nach der langen Reise meine Lebensgeister weckte, nimmt zu, aber die Nächte sind glücklicherweise kühl. Ich sehne mich danach, mehr von der Wüste zu sehen. Die nervöse Aufregung meiner Reisegenossen hat uns bisher daran gehindert, uns etwas weiter von unserem

    Schiff zu entfernen. Ich kann es kaum erwarten, meine Forschungen auszudehnen.«
    Anna sah nachdenklich auf. Sie hatte noch nie die Wüste gesehen. War noch nie in Afrika oder dem mittleren Osten gewesen. Wie frustrierend musste es sein, wenn man sich nicht umsehen konnte, weil die Reisegenossen zu furchtsam waren.
    Es war schlimm genug, dass sie selbst nie die Zeit und Möglichkeit gehabt hatte, jene Orte gründlich zu besichtigen, die sie mit Felix besucht hatte. Sie rückte auf ihrem Sitz hin und her, um es sich etwas bequemer zu machen, anschließend wandte sie sich wieder dem Tagebuch zu.

    »Louisa, Liebe. Sir John Forrester ist da.« Arabella, eingehüllt in eine Wolke aus weißer Spitze und leicht fleckigem Musselin, kam in die kleine Kabine gehüpft. »Er will dich auf seine Yacht holen.«
    »Es ist keine Yacht, Arabella. Man nennt das Dahabijah. «
    Louisa hatte alles gepackt und war bereit, ihre Malsachen lagen sorgfältig verschnürt auf Deck, zusammen mit ihren Kisten und ihrem Koffer. Sie rückte ihren breitkrempigen Strohhut zurecht und nahm ihren kleinen Handkoffer von der Pritsche. »Kommst du noch mit hoch zum Verabschieden?«
    »Aber sicher!«, kicherte Arabella. »Du bist so mutig, Louisa.
    Wie unvorstellbar gefährlich die Reise sein wird.«
    »Sie wird überhaupt nicht gefährlich«, erwiderte Louisa trocken. »Sie wird unglaublich interessant.«
    Louisa raffte mit einer Hand ihre weiten Röcke, stieg die Kajütentreppe hoch und trat in das blendende Sonnenlicht an Deck.
    Sir John Forrester war ein großer, ausgemergelter Mann Ende

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