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Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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wenn die Zeiten schlechter wurden und die Shar-ha sich gegen sie wandten. Sie war nüchtern genug, um ständig damit zu rechnen. Einige der Krieger, die sie auf ihren täglichen Spaziergängen beobachtete, hatten ihre Verwandten und Freunde getötet. Vielleicht war sogar Singende Krähe dabei gewesen. Sie hatte nie gewagt, ihn danach zu fragen. Wenn es so war, hätte sie ihn töten müssen. »Was hat dein Volk mit mir vor?«, bohrte sie weiter. »Was will der Priester?«
    »Ich darf dir nicht mehr sagen«, fuhr der Häuptling fort, »und du sollst wissen, dass es mir schwerfällt, dich im Ungewissen zu lassen. Du wirst eine wichtige Vereinigung erleben. Wenn der Morgenstern am höchsten steht, wird es so weit sein. Du wirst unsterblich werden, und wir werden dich als Göttin verehren.«
    Vom Morgenstern hatte auch ihr Schutzgeist gesprochen. Hüte dich vor dem roten Stern, hatte er gesagt. Der Morgenstern, der rote Stern. Eines der heiligen Wesen, zu dem die Shar-ha beteten, so viel wusste sie inzwischen. Sie verehrten die Sonne, den Mond und die Sterne. »Der rote Stern«, signalisierte sie.
    »Er leuchtete nur für dich«, sagte er.
    Sie wurde nachdenklich. Hüte dich vor dem roten Stern. Wenn der weiße Büffel sie gewarnt hatte, bedeutete das Erscheinen des Morgensterns nichts Gutes für sie. Die gute Behandlung würde aufhören, wenn der Stern leuchtete. Sie behielt ihre düsteren Gedanken für sich und ging langsam weiter. Nach einer Weile blieb sie wieder stehen. »Wo sind die heiligen Pfeile, die ihr uns gestohlen habt?«, fragte sie ernst. Auch sie sprach, während sie die Handzeichen benutzte.
    »Das Bündel?« Er versuchte, Zeit zu gewinnen, entschied sich aber, ihr zu antworten. »Es hängt in der Medizinhütte des Priesters. Warum haben eure Krieger es in den Kampf getragen? Ihr konntet nicht gewinnen. Die Shar-ha sind ein mächtiges Volk, und niemand kann sie besiegen.«
    »Die tsis tsis tas sind das wahre Volk«, erwiderte sie streng, »ihr habt uns unsere Seele geraubt, aber ihr habt uns nicht gebrochen. Ich bin die heilige Frau der Hügelleute und werde die heiligen Pfeile zurückholen.«
    Es war albern, so etwas zu sagen, wenn man unbewaffnet war und von mehr als zweihundert feindlichen Kriegern umgeben war, aber sie konnte nicht anders. Die heiligen Pfeile waren die Seele ihres Volkes, und sie würde alles versuchen, sie zu den tsis tsis tas zurückzubringen. Auch wenn es im Augenblick so aussah, als würde diese Gelegenheit niemals kommen. Sie war die heilige Frau der Hügelleute. Sie hatte mit ihrem Schutzgeist gesprochen und erfahren, dass sie die Kraft hatte, diese schwere Aufgabe zu bewältigen. Aber wie? Was hatten die Geister mit ihr vor? Was würde geschehen, wenn der rote Stern am Himmel leuchtete und die Vereinigung stattfand, von der Singende Krähe gesprochen hatte. Sollte sie den Priester lieben? Sie erschauderte bei diesem schrecklichen Gedanken. Der Mann in dem schwarzen Umhang gehörte in einen bösen Traum.
    Die Unterhaltung im Wald verschlechterte das Verhältnis zwischen Büffelfrau und Singende Krähe. Sie hatte ihn beleidigt, als sie die tsis tsis tas als das einzig wahre Volk bezeichnet hatte. Der Zorn des Augenblicks war stärker als ihre Vernunft gewesen. Er ließ es sie nicht spüren und behandelte sie mit der gleichen Höflichkeit wie an den Tagen zuvor, aber ihre Unterhaltungen im Wald waren verstummt, und seine Augen hatten wieder einen härteren Ausdruck angenommen. Erst eine Woche später, als sich die dunklen Wolken eines Gewitters verzogen hatten und die Luft nach frischer Erde und den Kräutern des Waldes roch, sagte er wieder etwas.
    »Der Tag rückt näher«, signalisierte er unvermittelt, »das sagt der Priester des Morgensterns. Die Sonne wird nur noch wenige Male aufgehen, bis der rote Stern am Himmel leuchtet und dir den Weg in ein neues Glück zeigen wird.«
    »Was geschieht dann?«, fragte sie wieder.
    »Du wirst es sehen«, antwortete er.
    Sie blickte ihn forschend an und wagte es, nach seiner Hand zu greifen. Maheo würde ihr verzeihen, dass sie mit den Gefühlen eines Menschen spielte, aber es gab keine andere Wahl.
    »Du siehst traurig aus, mein Bruder. Was bedrückt dich?«
    »Ich habe mich an dich gewöhnt, meine Schwester.«
    »Das ehrt mich. Was geschieht?«
    Singende Krähe senkte den Blick und brauchte lange, bis er die Hände zu einem neuen Zeichen hob. »Du wirst es erfahren«, sagte er wieder. Er ging ein paar Schritte, blieb wieder stehen und

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