Das Lied der Cheyenne
Seite waren es bestimmt zehn Schritte. Über dem Feuer, das in der Mitte brannte, hing ein Kessel mit dampfendem Gemüse, und in den Regalen an der Wand lagen weitere Speisen und frisches Obst bereit. In einem anderen Gefäß stand kühles Wasser bereit.
Das kuppelartige Dach wurde durch hölzerne Pfosten gestützt. Durch den Rauchabzug fiel helles Licht und ließ das Innere der Hütte geheimnisvoll erscheinen. Das Feuer knisterte leise. Es war seltsam ruhig in der Erdhütte, aber Büffelfrau war feste Behausungen nicht gewöhnt und fühlte sich unsicher und eingeengt. Sie sehnte sich nach ihrem Tipi und der frischen Luft, die überall in den Dörfern ihres Volkes zu spüren war. Die Erdhütte war wie eine Schlucht, die jeden Eindringling mit ihren Felswänden erdrückte und ihm das Gefühl gab, langsam zu ersticken. Dies war ein schlechter Ort, auch wenn es ihr an nichts fehlte und Singende Krähe sich höflich verbeugte.
»Ich bin dein Beschützer«, sagte er mit seiner sanften Stimme, die sie an ihren Schutzgeist erinnerte. Er gebrauchte die Zeichen »Wolf« und »Mann« und bedeutete ihr, dass der Beschützer einer auserwählten Frau »Wolfsmann« genannt wurde. »Ich bleibe bei dir, wie der Priester es befohlen hat.«
Singende Krähe nahm seine Aufgabe sehr ernst. Er wich während der folgenden Tage nicht von ihrer Seite und schlief auf einem Fell vor dem Eingang, wie es das Gesetz des Morgensterns vorschrieb. Er war für das Leben der auserwählten Frau verantwortlich, er garantierte mit seinem Leben für ihr Wohlbefinden. Vier Frauen wechselten sich ab und bedienten sie wie eine Prinzessin. Sie bekam nur erlesene Speisen, frisches Obst und kühles Wasser, und jede der Frauen verbeugte sich ehrerbietig, bevor sie ihr etwas brachte.
Zehnmal ging die Sonne auf, und nichts veränderte sich. Sie lebte wie eine Prinzessin, der man jeden Wunsch von den Augen ablas und die doch eine Gefangene war. Sobald sie sich dem tunnelartigen Ausgang näherte, wies Singende Krähe sie darauf hin, dass es ihr nicht gestattet war, ins Freie zu treten. Nur einmal am Tag führte der Wolfsmann sie zum Fluss oder in den nahen Wald und erlaubte ihr, frische Luft zu atmen und sich zu erleichtern. Er achtete beinahe eifersüchtig darauf, dass sie nicht mit anderen Kriegern sprach oder auf andere Weise versuchte, mit ihrer Umwelt in Kontakt zu kommen. Der Priester hätte ihn sofort getötet, wenn er eines der heiligen Gesetze brach.
Büffelfrau genoss die kurzen Spaziergänge und benutzte sie dazu, sich ihre Umwelt genau einzuprägen. Es half einem Krieger immer, wenn er das Dorf seines Feindes genau kannte. Und die Shar-ha waren ihre Feinde, das durfte sie nicht vergessen. Daran änderte auch die gute Behandlung nichts. Noch wusste sie nicht, warum die Shar-ha sie nicht töteten oder wie eine Gefangene zu den Hunden jagten, und Singende Krähe hatte nie etwas gesagt, wenn sie ihn danach gefragt hatte. Er war ihr immer ausgewichen und hatte anscheinend Angst, ihr zu viel zu verraten oder eines der Tabus zu verletzen, die der Priester ihm auferlegt hatte. Er mochte sie, das glaubte sie nach der langen Zeit, die sie ununterbrochen zusammen waren, zu wissen. Er blickte sie wie ein Freund an, und in seinen Augen war eine Sanftheit, die sie bisher nur bei ihren Eltern, bei Weißer Biber und in ihren Träumen gesehen hatte.
»Singende Krähe«, sagte sie, als sie am elften Tag durch den Wald gingen. Sie hatte gelernt, seinen Namen auszusprechen, und gebrauchte die Zeichen erst, als sie weitersprach. »Ich weiß, dass du über das Geheimnis nicht reden willst, aber ich muss es wissen. Warum behandelt ihr mich so gut? Was habt ihr vor?«
Der Häuptling sah ohne die weiße Kriegsfarbe freundlicher aus, und selbst seine harten Gesichtszüge wirkten im Zwielicht des Waldes sanft wie bei einer Frau. »Ich darf es dir nicht sagen«, antwortete er wie an den vergangenen Tagen, aber irgendetwas in seiner Stimme verriet ihr, dass es heute anders war. »Du bist die auserwählte Frau. Du bist in meinen Träumen erschienen, und der Priester hat mich geschickt, dich in unser Dorf zu holen. Es ist eine große Ehre, meine Schwester.«
So nannte er sie zum ersten Mal, und sie glaubte jetzt zu wissen, dass er mehr als Sympathie für sie empfand. Sein Herz schlug für sie, obwohl sie auch erkannte, dass er sich dagegen wehrte. Sie erwiderte seine Zuneigung nicht, aber es war angenehm, einen Todfeind auf ihrer Seite zu wissen. Es konnte ihr von Nutzen sein,
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