Das Lied der Cheyenne
schlossen sie keinen Frieden? Warum musste immer getötet werden?
Auch sie war eine Kriegerin. Es gab nichts Schöneres, als sich auf der Jagd oder in einem hitzigen Kampf zu beweisen. Sie hatte sich selten so gut gefühlt wie an jenem Tag, als sie die toten Ho-he mit ihrem Bogen berührt hatte. Auch als sie den Shar-ha bei den Felsen getötet hatte, waren ihre Gedanken froh gewesen. Sie waren als Krieger geboren, und Krieger mussten sich im Kampf beweisen. Aber warum musste ein blutiger Krieg daraus werden, der die Seele eines Volkes vernichtete? Reichte es nicht, wenn man die Pferde des anderen stahl und sich im Zweikampf mit anderen Kriegern maß? Warum mussten Frauen und Kinder unter den Auseinandersetzungen leiden?
Sie trat dem Priester gegenüber. Er wartete vor der großen Medizinhütte auf sie und hielt den Coupstock in der linken Hand. Die Sonne ließ sein strenges und mit weißer Farbe bemaltes Gesicht noch kantiger erscheinen. Er trug seinen schwarzen Umhang und sagte etwas in seiner Sprache. Singende Krähe übersetzte seine Worte in die Zeichensprache: »Der Tag ist gekommen, die Zeremonie kann beginnen. Tritt vor mich und empfange das Zeichen des Morgensterns.«
Mit dem Priester waren seine Helfer und besonders mutige Krieger seines Volkes gekommen. Sie standen hinter dem heiligen Mann und hingen ehrfürchtig an seinen Lippen. Aiee, dachte sie, dieser Mann ist sehr mächtig. Die anderen Bewohner des Dorfes saßen auf den Kuppeldächern oder drängten sich zwischen den Erdhütten. Es geschah selten, dass Morgenstern nach einem Opfer verlangte, und sie wollten alle dabei sein.
Irgendwo wurden Trommeln geschlagen. Die Schläge hallten durch das Dorf und kündigten den ersten Tag der heiligen Zeremonie an. »Gebt mir die Farbe«, forderte der Priester einen seiner Helfer auf. Einer der jungen Krieger reichte ihm ein Gefäß mit rotem Lehm, und der heilige Mann tauchte einen Finger hinein und malte ein rotes Kreuz auf die Stirn von Büffelfrau. Sie zuckte zusammen, als er sie berührte. »Empfange das Zeichen von Morgenstern«, sagte der Priester. »Trage das Kreuz, das dich mit ihm verbindet und dich zu seiner Frau macht.« Wieder wurden die Trommeln geschlagen, und einige der ausgesuchten Krieger begannen, auf dem festgestampften Boden zu tanzen.
Die Zeremonie dauerte bis zum frühen Abend. Büffelfrau stand im Mittelpunkt der Feierlichkeiten, verstand aber nur wenig von den Worten des Priesters, obwohl Singende Krähe sich große Mühe gab, alles in die Zeichensprache zu übersetzen. Die vier Frauen, die sich um ihr leibliches Wohl kümmerten, brachten ihr köstliche Speisen und frisches Wasser, und der Priester lud sie ein, sich auf einen Thron aus Büffelfell zu setzen. Es war seltsam. Die Shar-ha behandelten sie wie eine Prinzessin, und doch hatte sie das Gefühl, vor einem tiefen Abgrund zu stehen.
Am Abend wurde Büffelfrau in ihre Hütte zurückgeführt. Sie setzte sich erschöpft ans Feuer und griff dankbar nach dem Wassergefäß, das Singende Krähe ihr reichte. Er sagte nichts. Er war sehr nachdenklich geworden, und sie spürte, dass sich die Gedanken in seinem Kopf überschlugen. Er dachte angestrengt nach. Er suchte nach einer Lösung. Nach einem Ausweg, wie er Büffelfrau vor ihrem Schicksal retten konnte. Aber er sagte nichts und legte sich wortlos auf die Felle vor dem Ausgang, nachdem er hastig zu Abend gegessen hatte.
Singende Krähe hatte das Feuer verändert. Vier Holzscheite ragten sternförmig in die Flammen: Zeder, Cottonwood, Buche und Weide. So verlangte es das Gesetz. Vier Holzarten und vier Scheite für die vier Richtungen. Vier war die heilige Zahl, denn Morgenstern hatte gegen vier wilde Tiere gekämpft, als er um Abendstern geworben hatte. Vier Tage dauerte die Zeremonie. Vier Kleider trug die ausgesuchte Frau, bis sie vor Morgenstern trat und seine Frau wurde. Vier Sprossen hatte die Holztreppe, die zum allmächtigen Morgenstern und in sein Bett führten.
Der zweite Tag unterschied sich kaum vom ersten. Der Priester und seine Helfer warteten im Morgengrauen auf sie, und es wurde getrommelt, gesungen und getanzt. Sie wurde wie eine Prinzessin behandelt. Sie versuchte, die strengen Gesichter der Krieger zu ergründen, aber keine Regung zeigte ihr, was sie am Morgen des fünften Tages erwarten würde.
Singende Krähe war noch nachdenklicher geworden und schwieg beharrlich, als sie in ihre Hütte zurückkehrten. Er wälzte seine Gedanken hin und her und sann verzweifelt
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