Das Lied der Cheyenne
fügte ein Zeichen hinzu, das auch die Shar-ha nur selten gebrauchten. Es bedeutete: ›Ich verehre dich.‹
28
Entscheidung
Büffelfrau erwachte und wusste, dass an diesem Morgen alles anders war. Sie hatte nicht geträumt und auch keine Bilder gesehen. Es war ein seltsames Gefühl, das sie noch vor dem Morgengrauen aus dem Schlaf geholt hatte. Ein schwerer Druck, der auf ihrem Magen lastete und sich wie dicker Saft in ihrem Körper ausbreitete. So musste Blitzfrau gefühlt haben, als die Schreie der Shar-ha sie aus ihren Träumen gerissen hatten.
Sie schreckte hoch und blickte sich ängstlich in der Hütte um. Sie war allein. Das Feuer brannte schwach und verbreitete trüben Schein. Schatten tanzten über die Erdwand und den Boden und verwandelten den Büffelschädel in ein lebendiges Wesen, das sie an den aufgebrachten Büffelbullen erinnerte, der sie vor vielen Wintern angegriffen hatte. Sie hatte ihn mit ihren bloßen Händen aufgehalten. Was würde diesmal geschehen? Würde sie auch die unbekannte Macht besiegen, die im Dorf der Shar-ha auf sie wartete? War sie stark genug?
Singende Krähe hatte von einer Vereinigung gesprochen. Du wirst unsterblich, und wir werden dich wie eine Göttin verehren. Das hatte er gesagt. Sie wusste noch immer nicht, welches Geheimnis sich hinter diesen Worten verbarg. Du wirst ein neues Glück erleben. Wie konnte etwas glücklich sein, wenn ein Häuptling der Shar-ha sich davor fürchtete? Der Priester hatte verboten, ihr die Wahrheit zu sagen, das spürte sie. Dieses Gesetz war stark genug, ihn daran zu hindern, mit ihr über die geheimnisvolle Vereinigung zu sprechen. Es war stärker als das Gefühl, das er für sie empfand. Hatte der Priester sie einem anderen versprochen? Wurde sie mit einem Gott verheiratet? Schrieb ein Gesetz der Shar-ha vor, dass eine auserwählte Frau sich mit dem Priester vereinigte, wenn der Morgenstern leuchtete? Wurde sie seine Frau? Wartete nach dieser Vereinigung der Tod auf sie? War Singende Krähe deshalb so traurig? Oder waren seine Gefühle so stark, dass er sie keinem anderen gönnte? Es gab viele offene Fragen.
Singende Krähe kam in die Hütte und begrüßte sie. Er legte einige Holzscheite ins Feuer und vermied es, sie anzublicken. Seine Bewegungen waren langsamer, und als er den Kopf hob, sah Büffelfrau die Tränen in seinen Augen. Sie hatte immer geglaubt, die Shar-ha seien nüchterne und gefühlskalte Krieger, die niemals lachten und niemals weinten, aber Singende Krähe war anders. Er schämte sich nicht, seine Gefühle zu zeigen.
»Es ist so weit«, sagte sie leise.
»Ja«, antwortete er, »ich habe den Morgenstern gesehen. Wenn die Sonne aufgeht, beginnen die Feierlichkeiten. In vier Tagen holt dich der Priester. So lauten die Gesetze der Götter.«
»Vier Tage?«
»Die heilige Zahl«
»Du bist traurig, mein Freund.«
Singende Krähe stellte ein Gefäß mit Kräutertee ins Feuer. Er rührte mit einem Löffel aus Büffelhorn darin und nickte. »Ich werde dich verlieren, meine Schwester.«
»An den Priester?«
»An den Morgenstern.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich darf nichts sagen.«
Sie schwiegen, bis Singende Krähe ihr den Tee reichte. Sie atmete den Kräuterduft und schloss die Augen. Ihr stilles Gebet galt Maheo, ihrem Schutzgeist und den geheimnisvollen Kräften der vier Richtungen. Sie war von ihnen losgeschickt worden, die heiligen Pfeile zurückzuholen, und jetzt war sie eine Gefangene und wartete auf ein unbekanntes Schicksal, das ihre Entweihung durch die böse Kraft des Priesters und lebenslange Verbannung im Lande der Shar-ha bedeuten konnte. War Singende Krähe dazu verdammt, sie auch nach der Vereinigung zu bewachen? Verlangte dass Gesetz, das sie bis zum Tod bei den Shar-ha blieb und in der Gefangenschaft lebte?
Büffelfrau trank den heißen Tee und stellte das leere Gefäß auf den Boden. Sie kroch neben den Häuptling und legt eine Hand auf seinen rechten Arm.
»Deine Gefühle sind stark«, sagte sie, »und ich fühle, dass ich in deinen Träumen lebe. Willst du, dass die Vereinigung stattfindet? Willst du es, mein Bruder?«
»Nein«, antwortete er ehrlich, »ich will dich in meine Hütte holen und zu meiner Frau machen. Du gehörst zu dem Volk, das wir seit vielen Wintern bekämpfen. Ihr stehlt unsere Pferde, und wir stehlen eure. Ihr tötet unsere Krieger, und wir töten eure. So ist es, seit ich denken kann. Aber es gibt Frauen deines Volkes, die bei uns aufgewachsen sind. Sie haben Krieger
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