Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Tagesanbruch ruft Konstantin Pawel zu sich und schickt ihn, Grischa zu holen. Antonina hat nicht geschlafen. Unruhig geht sie im Zimmer hin und her. Sie weiß, dass es keine Neuigkeiten gibt, denn andernfalls wäre Grischa auf der Stelle zu ihr gekommen.
Als Grischa ihnen mitteilt, dass der Suchtrupp um Mitternacht mit leeren Händen zurückgekommen ist, befiehlt Konstantin, alle Beteiligten auspeitschen zu lassen. Das ist seine Art, mit seiner Angst und seinen Schuldgefühlen umzugehen. Grischa nickt, führt den Befehl jedoch nicht aus.
» Bestimmt wird heute eine Lösegeldforderung eintreffen « , sagt Antonina zu Konstantin, während sie unruhig vor seinem Bett auf- und abschreitet. Sie wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. » Und wenn sie heute eintrifft, wissen wir, was wir zu tun haben, um Mischa zurückzubekommen. «
Konstantin ist grau im Gesicht. Der Verband ist mit getrocknetem Blut verkrustet, aber auch frische scharlachrote Flecken zeichnen sich darauf ab.
» Du solltest deine Hand vom Doktor anschauen lassen « , sagt Antonina. » Ich schicke nach ihm. «
» Dazu ist keine Zeit. Wir machen uns wieder auf die Suche « , entgegnet Konstantin. » Pawel, hilf mir, mich anzukleiden. «
» Ich komme mit « , sagt Antonina, und diesmal widerspricht Konstantin ihr nicht.
Um acht Uhr reiten sie los. Es ist ein wolkenverhangener, feuchter Apriltag.
Sie kehren zu der Lichtung zurück, wo Michail entführt wurde; Antonina betrachtet den aufgewühlten Matsch und die gefrorenen Schneebrocken, stellenweise befleckt von Konstantins Blut. In sternförmiger Formation machen sie sich auf den Weg. Antonina reitet zusammen mit Grischa. Sie kommen nur langsam voran, ihre Pferde müssen sich einen Weg zwischen den Bäumen bahnen. Schließlich gelangen sie auf ein Feld, sie überqueren es und erreichen Tuschinsk, ein Dorf, das Konstantin gehört.
Dort sitzen sie ab und pflocken ihre Pferde an, dann gehen sie durch die wenigen Straßen. » Besser, sie bleiben bei mir, Gräfin « , sagt Grischa.
Grischa befragt die Dorfbewohner; sie sind auf der Hut vor ihm, sind schweigsam, schütteln den Kopf. Vor Antonina machen sie eine tiefe Verbeugung. Sie will ihnen ebenfalls Fragen stellen, aber als sie die Männer und Frauen auffordert, sich wieder aufzurichten, blickt sie in ausdruckslose Gesichter.
Ohne eine Rast einzulegen, um etwas zu essen oder zu trinken, reiten sie weiter. Mit jeder Stunde wächst Antoninas Verzweiflung. Als sie einen Bauern mit einem Handwagen auf der Straße befragen, der wortlos zu ihnen hinaufstarrt, fährt Antonina den Mann mit lauter Stimme an, sie ist mit ihrer Geduld am Ende. Grischa beugt sich zu ihr hinüber und legt die Hand auf ihre Zügel.
» Es ist schon ziemlich spät, Gräfin. Wir sollten jetzt zum Gut zurückreiten. Sie frieren bestimmt. « Sein Blick streift über ihren Wollumhang, der sich im kühler werdenden Wind bläht.
» Mir ist nicht kalt « , sagt sie und zieht den Umhang enger um sich. » Lass uns weiterreiten. «
Als ein Nieselregen einsetzt, besteht Grischa darauf, dass sie nach Angelkow zurückkehren.
» Noch nicht, Grischa. Lass uns die Suche fortsetzen. Nur noch eine Stunde. «
Grischa schüttelt den Kopf und mustert ihr Pferd. Dunja, Antoninas Rotschimmel, ist müde, mit gesenktem Kopf trottet sie auf ihren zierlichen Hufen dahin. » Vielleicht sind der Graf und die anderen … vielleicht ist Michail Konstantinowitsch inzwischen zu Hause « , sagt er.
» Ich bete, dass es so ist, Grischa « , erwidert Antonina. Dann wendet sie Dunja, um mit Grischa nach Angelkow zurückzukehren.
Konstantin und die anderen sind noch nicht da, als sie zu Hause eintreffen. Von Michails Entführern ist keine Nachricht gekommen.
Antonina geht als Erstes in ihr Zimmer und entledigt sich ihrer schlammbespritzten Kleider. Lilja bringt ihr ein Glas Wodka, dann ein zweites, anschließend begibt sich Antonina auf die Veranda und blickt, fröstelnd die Arme um den Körper geschlungen, die lange, von Linden gesäumte Auffahrt hinunter, deren Äste noch immer kahl sind.
Schließlich geht sie wieder hinein. Keine halbe Stunde später hört sie die Stimmen von Männern, die sich auf ihren Pferden nähern, und rennt in ihren Pantoffeln und dem dünnen Wollkleid über den von schmutzigen, aufgeweichten Schneeflecken übersäten Hof zu den Stallungen. Sie hofft inständig, dass ihr Sohn vor seinem Vater auf dessen Pferd sitzt. Aber er ist nicht dabei.
Mit herabhängenden Armen bleibt
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