Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
meines Landes, und die Bauern bearbeiten es. Nur in dieser Beziehung sind sie an mich gebunden. «
Grischa hielt es nicht länger auf seinem Stuhl; er stand auf, verbeugte sich knapp vor dem Grafen und trat ans Fenster. Draußen war es stockdunkel, und er konnte sein eigenes Spiegelbild sehen, sein welliges dunkles Haar, das er aus der Stirn zurückgekämmt hatte, und seine Augen, die im blasseren Oval seines Gesichts wie zwei dunkle Schlitze anmuteten. » Nochmals, bei allem Respekt, Graf Mitlowski « , sagte er zu seinem Spiegelbild, » Sie bestimmen über das Leben der Tausende von Seelen, die Sie besitzen. Sie können es den Bauern untersagen, Ihr Land zu verlassen, und Sie können nach Belieben eine dieser Seelen verkaufen oder woanders hinschicken, auch wenn dabei Familien auseinandergerissen werden. « Er drehte sich um, sah, dass Konstantin die Augen zuzufallen drohten und seine Wangen gerötet waren. Mit leiser, beherrschter Stimme sagte er: » Sie können sie auspeitschen lassen oder ohne Grund zur Arbeit in die Bergwerke schicken oder nach Sibirien, um dort ihr Leben zu lassen. Sie bestimmen, wen sie heiraten. Ist das nicht Sklaverei, barin ? «
Konstantin wedelte mit der Hand, als seien Grischas Worte belanglos, als hätte er sie schon zu oft gehört, um sie noch ernst zu nehmen. » Hör auf, über Politik zu reden, Grischa. Du langweilst mich. Der Zar ist von Gott eingesetzt. Er wird schon das Richtige tun. Seine lächerliche Drohung wird er nie und nimmer wahrmachen. Komm jetzt. Es ist Neujahr. Lass uns auf unsere Gesundheit und die unserer Liebsten trinken. «
Und während draußen das erste Bollern des Feuerwerks zu hören war, stieß Grischa mit dem Grafen an.
» Gute Nacht, meine Liebe! « , rief Konstantin in Richtung Schlafzimmertür, während er aufstand und sein leeres Glas auf den Tisch stellte. Grischa hörte Tanjas gemurmelten Gruß.
Der Graf legte einen kleinen Stapel Rubel auf den Kaminsims, dann ging er hinaus, um mit seiner Frau und seinem Kind das Feuerwerk anzusehen. Grischa blickte in die Flammen. Der Wodka brannte in seinem Bauch. Graf Mitlowski irrte; Grischa war überzeugt, dass der Zar in wenigen Monaten die Abschaffung der Leibeigenschaft verkünden würde. Und er, Grischa, wusste dann ganz genau, was er mit seinem Leben anfangen würde, jedenfalls würde er nicht länger unter Mitlowskis Knute arbeiten.
Das kastanienbraune Haar wieder ordentlich frisiert kam Tanja mit Bettwäsche über dem Arm aus dem Schlafzimmer. Mit ausdrucksloser Miene nahm sie die Rubel vom Kaminsims und steckte sie in ihre Rocktasche.
Grischa schenkte ein weiteres Glas Wodka ein und hielt es ihr hin. » Lass uns auf das neue Jahr trinken, Tanja. «
» Danke, Grigori Sergejewitsch « , sagte sie und legte die gebrauchte Bettwäsche ab, ehe sie das Glas ergriff. Um den Mund und zwischen den Augenbrauen hatte sie tiefe Falten.
Grischa stieß mit ihr an und hob sein Glas. » Auf die Freiheit! « Er bog den Kopf in den Nacken und leerte es in einem Zug.
DREI
E in paar Stunden sind vergangen. Antonina sitzt auf einem Stuhl mit gerader Rückenlehne und späht vorgebeugt in die Dämmerung. Sie lässt den Hof nicht aus den Augen.
Als sich Pferde nähern, springt sie auf, reicht Lilja das Hündchen und eilt zur Haustür. Sie reißt sie auf, hält aber so abrupt auf den Verandastufen inne, dass Lilja, die ihr gefolgt ist, gegen sie prallt.
Es sind Konstantin und Grischa, aber sie sind allein.
Antonina rennt die Stufen zum Hof hinab. » Was ist geschehen, Konstantin? Warum seid ihr zurück? Michail – Mischa … « Sie sieht zuerst Konstantin an, der nach vorn gebeugt im Sattel sitzt, den Mund leicht geöffnet, dann Grischa. » Ihr habt ihn nicht gefunden? « Sie kennt die Antwort bereits, muss aber trotzdem fragen.
Grischa schüttelt den Kopf. » Noch nicht, Gräfin, aber Ljoscha und die anderen suchen noch. Sie verfolgen eine viel versprechende Fährte, solange es noch hell war, konnte man die Spuren gut … Sie werden ihn bestimmt finden, Gräfin. «
Antonina presst mit einer Hand den Schal an die Brust, als würde ein kalter Windstoß durch den Hof fegen. » Aber es ist schon zu lange her, Grischa, zu viel Zeit ist verstrichen. Es ist schon fast dunkel. «
» Nein, so lange ist es noch nicht her « , sagt er, dann sitzt er ab und stellt sich neben sie. » Lilja! Ruf Pawel, damit er mir mit dem Grafen hilft. « Wieder sieht er Antonina an, berührt flüchtig ihre Hand. » Bestimmt nicht. Und wenn
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