Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
wollte. « Lilja hat Sosos Bärenfellmantel über dem Arm.
Soso packt ihn und schlüpft hinein. Er versetzt dem Schwein einen Tritt; es quiekt und trottet davon. » Wir fahren in Richtung Pskow « , sagt er und wirft Lilja abermals einen verstohlenen Blick zu. Grischa, dem das nicht entgangen ist, weiß instinktiv, dass er auf der Hut sein muss.
» Ist das der Ort, wo Michail Konstantinowitsch gefangen gehalten wird? « , fragt er.
» Warum sollten wir sonst dorthin fahren? « Soso steigt auf die Kutschbank und schiebt Ljoscha grob zur Seite, während er die Zügel ergreift. Ljoscha klettert nach hinten und setzt sich neben Lilja.
Während sie aus dem Dorf fahren, nimmt Grischa die geladene Pistole aus seiner Manteltasche, die er zuvor eingesteckt hat. Er besaß sie schon, als er von Moskau nach Angelkow kam, hat sie jedoch nie benutzt. Er sitzt seitlich auf dem Kutschbock, sodass er Soso und auch Lilja im Blickfeld hat, die hinter diesem sitzt. Er hält die Pistole tief und auf Soso gerichtet. Der wirft ihm einen finsteren Blick zu. » Nur damit du weißt, woran du bist, Soso « , sagt Grischa. » Wir fahren jetzt den Jungen holen. «
Soso ruft einen Befehl, und die Pferde fallen in Trab.
Nach einer Dreiviertelstunde – sie sind nur noch ein paar Werst von der Stadt entfernt – lenkt Soso die Troika scharf in einen schmalen Weg, der von der Hauptstraße abzweigt und in einen Wald führt. Die Pferde kommen nur noch langsam voran, da das Mittelpferd eingezwängt und das Gespann von herabhängenden Zweigen behindert wird. Seit sie Borsik verlassen haben, hat niemand mehr etwas gesprochen.
Nur mit Mühe kommen sie in dem von Unterholz überwucherten Wald vorwärts. Grischa riecht Sosos Ausdünstungen; sein Mantel ist schmutzig und verfilzt. Er mag sich nicht vorstellen, dass er erneut in eine Falle gelockt wird: Bringt Soso sie vielleicht zu den anderen beiden Männern, die ihn auszurauben versuchen oder noch Schlimmeres im Schilde führen? Sein Griff um die Pistole verstärkt sich. Er ist fest entschlossen, beim geringsten Anzeichen einer Bedrohung Gebrauch von ihr zu machen. Er kann nur hoffen – oder beten, wie schon am frühen Morgen –, dass er zu Michail Konstantinowitsch geführt wird.
Er sieht, wie Lilja in den Wald späht und gelegentlich einen Blick nach hinten wirft. Die Spannung ist mit den Händen zu greifen. Er will so sehr, dass der Junge am Leben ist, und wünscht sich nichts sehnlicher, als ihn zu Antonina zurückzubringen. Was, wenn Michail gar nicht an dem Ort ist, zu dem Soso sie führt? Grischas größte Angst ist jedoch, dass er sterben wird, ehe er erfährt, was dem Jungen zugestoßen ist oder ob er je seine Mutter wiedersehen wird.
Der Gedanke an Antoninas Gesichtsausdruck, wenn er ohne den Jungen zurückkommt, ist ihm unerträglich. Stattdessen stellt er sie sich vor, wie sie ihren Sohn erblickt. Er ist fest entschlossen, alles zu tun, damit dies Wirklichkeit wird: Wenn es sein muss, wird er sein Leben dafür hingeben. Und plötzlich überkommt ihn, während sie durch den Wald fahren, eine unerwartete Hochstimmung. Nicht nur hat er plötzlich keine Angst mehr, sondern er meint tatsächlich vorherzusehen, was als Nächstes geschehen wird. In der Gewissheit, dass das Ende dieses Albtraums unmittelbar bevorsteht, durchströmt ihn ein Gefühl der Erleichterung. Und sollte sein Tod notwendig sein, damit Michail Antonina zurückgebracht wird, ist er bereit, ihn anzunehmen.
An einem Baum zu seiner Rechten ist ein Holzkreuz genagelt, darauf ein primitives Schild mit dem Namen Ubenowo Monastyr, das auf einen kaum sichtbaren schmalen Trampelpfad zwischen den Bäumen weist. Soso zieht an den Zügeln und bringt die Pferd zum Stehen.
» Hier kommen sie nicht mehr durch « , sagt er und kletterte vom Kutschbock herunter.
Ljoscha bindet die Pferde an Bäumen an. Dann folgen er, Grischa und Lilja Soso über den zerfurchten, gefrorenen und schneebedeckten Pfad. Ein paar Minuten später gelangen sie auf eine Lichtung. Hier wurde eine große Schneise in den Wald gehauen. Eine niedrige runde Kapelle mit einem kleinen kuppelförmigen Dach ist zu sehen. Die Türen der Nebengebäude sind mit Vorhängeschlössern versehen. Abgesehen von dem Krächzen der Krähen, die zum Schutz gegen die Kälte geduckt in den Birken und Espen kauern, ist es still.
Grischa zielt mit der Pistole noch immer auf Soso und blickt sich wachsam an dem gespenstischen Ort um. Lilja lässt ebenfalls den Blick schweifen, als
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