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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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Briefbogen mit dem Mitlowski-Siegel heraus. Sie schraubt den Deckel des Tintenfasses auf.
    Sie braucht sehr lange, um den einfachen Brief zu schreiben; zweimal knüllt sie den Bogen zusammen und nimmt einen frischen. Als sie fertig ist, wartet sie, bis die Tinte trocken ist, ehe sie das Blatt faltet. In der Schublade findet sie eine Spule mit feinem Bindfaden; sie schneidet ein Stück ab und bindet es um den Brief.
    Schließlich legt sie alles sorgfältig an seinen Platz zurück. Die beiden zerknüllten Blätter verbrennt sie im Küchenherd. Dann zieht sie ihren Umhang an und begibt sich über den Hof zum Stall.
    » Ljoscha, ich habe einen Botengang für dich. «
    Er lässt den Striegel sinken und sieht sie an.
    » Zuerst « , sagt sie, » reitest du nach Borsik. Wenn du ins Dorf reinkommst, siehst du eine Hütte, vor der ein Esel angepflockt ist. Dort wohnt Soso zurzeit. «
    » Soso wohnt in Borsik? «
    » Ja. Sag ihm, dass wir morgen Vormittag zu ihm kommen – Grischa, du und ich. Sag ihm, dass wir den Plan jetzt ausführen können. «
    » Was für einen Plan? Was meinst du damit? «
    » Frag nicht, tu einfach, was ich dir sage, Ljoscha. Wenn Soso morgen noch nicht kann, oder wenn du ihn nicht antriffst, kommst du wieder zurück. Aber wenn er da ist und sagt, dass er uns erwartet, dann reitest du weiter nach Pskow. « Lilja fischt den zusammengebundenen Brief aus ihrer Manteltasche und hält ihn ihm hin. » Du bringst diesen Brief zur Polizei am Fedosowa-Prospekt. Und du darfst niemandem ein Wort davon sagen. «
    Ljoscha beäugt den Brief, den sie ihm hinhält. Immer diese Geheimniskrämerei. Er mag das nicht. » Schwester, ich glaube nicht … «
    » Damit hilfst du uns, Michail Konstantinowitsch zu seiner Mutter zurückzubringen « , sagt sie ernst. » Willst du das nicht auch? «
    Ljoscha ruft sich die Bemerkung ins Gedächtnis, die Lilja gegenüber Grischa fallen ließ, nachdem sie den Musiker erschossen hatte, und es überläuft ihn kalt: Wenn du mich tötest, wirst du den Jungen nie finden. Wenn du mich tötest, tötest du auch Michail Konstantinowitsch. » Natürlich will ich das, Lilja. Aber warum muss denn alles so heimlich ablaufen? Und was hat Soso damit zu tun? «
    » Mehr kann ich dir nicht verraten. Wenn du nicht tust, was ich dir sage, wird die Gräfin ihren Sohn nie wiedersehen. Hast du mich verstanden? «
    Ljoscha nickt und nimmt den Brief.
    » Kein Wort, zu niemandem « , sagt Lilja abermals. » Du musst den Brief persönlich bei der Polizei abgeben. « Ihre Miene ist ausdruckslos. » Ich kann dir doch vertrauen, oder nicht? «
    » Ja, ja, das weißt du doch, Lilja. «
    Lilja klopft an Antoninas Tür, doch die Gräfin ruft von drinnen, sie wünsche sie nicht zu sehen.
    » Aber gestern hast du zu mir gesagt, wir würden heute reden « , erwidert Lilja durch die Tür.
    » Nuscha soll mir heißes Wasser für ein Bad bringen und Tee. Tu, was ich dir sage « , fügt Antonina hinzu, und Lilja entfernt sich.
    Später, nachdem sie gebadet und sich angezogen und das Haar auf schlichte Weise hochgesteckt hat, begibt sich Antonina nach unten. In einen warmen Mantel gehüllt spaziert sie auf der Veranda auf und ab. Der Hof, wo der Schnee von den Pferdehufen festgestampft ist, liegt still da, niemand ist zu sehen. Der blassblaue Himmel ist von Zirruswolken durchzogen. Als sie schließlich Fjodor auf den Stall zugehen sieht, eilt sie die Stufen hinab. » Ist Grischa im Stall? « , ruft sie.
    Der Mann schüttelt den Kopf. » Ich habe ihn zuletzt vor ein paar Stunden gesehen, weiß aber nicht, wo er jetzt ist. «
    Grischa ist gewiss weggeritten, um Michail zu holen, wie er es versprochen hat, denkt sie. Antonina kehrt in ihr Zimmer zurück. Das Warten fällt ihr so schwer. Einmal begibt sie sich zum Kleiderschrank. Sie weiß, dass es keinen Wodka mehr gibt, sie hat die letzte Flasche ins Feuer geworfen. Aber es beruhigt sie, als sie sieht, dass in ihrem Schrank wirklich nur noch ihre Kleider, Schuhe und Hüte sind. Sie trinkt etliche Gläser Wasser und bringt ein paar Bissen des inzwischen erkalteten Frühstücks hinunter, das Nuscha ihr auf den Tisch gestellt hat. Sie steckt ein paar Haarsträhnen fest, die sich aus dem Knoten gelöst haben. Reibt sich die Wangen, damit sie ein wenig Farbe bekommen. Wenn Mischa kommt, will sie möglichst gut aussehen. Der Tag vergeht. Ohne dass Grischa ihren Sohn zurückgebracht hat.
    Sie weigert sich, sich der Verzweiflung hinzugeben. Sie redet sich ein, dass Grischa bestimmt

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