Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
erledigen, aber ich habe die Männer angewiesen, den Radius ihrer Suche zu vergrößern und in weiter entfernte Dörfer und Weiler zu reiten. Außerdem haben wir die Entführung bei der zuständigen Behörde in Pskow angezeigt. «
» Gibt es irgendwelche Neuigkeiten, Grischa? « Antonina spricht leise. Sie hat nicht die Energie, ihre Stimme zu erheben.
Grischa zögert mit der Antwort. Schließlich sagt er: » Niemand hat offen zugegeben, den jungen Herrn gesehen zu haben. Aber die Dorfbewohner haben Angst. Vielleicht haben die Entführer sie bedroht, und sie wagen es nicht, den Mund aufzumachen. Also werden wir weiterhin Augen und Ohren aufsperren. Wir geben nicht auf, Gräfin. Und Sie wissen ja selbst, wie stark und klug Ihr Sohn ist. Sie müssen sich mit diesem Gedanken trösten, Gräfin; dass es ihm gut geht. Bestimmt geht es ihm gut. « Die letzten Worte wiederholt er ein wenig lauter.
Antonina nickt, wirkt aber nicht überzeugt. » Vielleicht haben sie ihn in die Stadt gebracht. Oder sogar nach Sankt Petersburg. «
Grischa schüttelt den Kopf. » Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er hier in der Nähe ist, in einem sicheren Versteck. Wir werden die ganze Provinz absuchen, Gräfin. «
» Was meinst du, werden sie erneut eine Nachricht schicken? Mit einer weiteren Lösegeldforderung? « Seit gestern spukt ihr diese Frage durch den Kopf. Sie hat gehofft, das Grischa die Sprache darauf bringen würde, in seiner gewohnten bestimmten Art. » Werden sie uns noch eine zweite Chance geben, nachdem Konstantin beim ersten Mal alles verdorben hat? «
Täuscht sie sich, oder hat sich seine Miene kaum merklich verändert? Antonina ruft sich in Erinnerung, dass Konstantin vergangene Nacht seinen Namen gemurmelt hat. Grischa weiß.
» Möglich ist das schon, Gräfin. Männer wie diese … sind gewissenlos und gierig. «
Seine Antwort ist nicht so befriedigend, wie sie gehofft hat. » Also warten wir einfach ab? «
» Und setzen währenddessen die Suche fort, Gräfin. «
Eine Weile ist es still, nur das Knistern des Feuers ist zu hören. Grischa schaut in die Flammen.
» Gestern Nacht hat Konstantin mit mir gesprochen, Grischa « , sagt Antonina.
Im ersten Moment reagiert Grischa nicht, dann wendet er sich vom Feuer ab und ihr zu. » Hat er das Bewusstsein wiedererlangt? «
» Einen Augenblick lang. «
Grischa sieht sie schweigend an.
» Er hat deinen Namen gesagt. Ich konnte ihn nicht richtig verstehen, aber ich glaube, er hat gesagt: ›Grischa weiß.‹ Was hat er damit gemeint, Grischa? «
Grischa zögert, ehe er antwortet. » Ich dachte zunächst, ich hätte einen von ihnen erkannt. Von den Kosaken. Als sie mich angegriffen haben, habe ich einen Namen gerufen. «
Antonina erhebt sich aus dem Sessel. » Du kennst ihn? «
Grischa schüttelt den Kopf. » Wie gesagt, Gräfin, im ersten Augenblick dachte ich es. Ich konnte nur seine Augen sehen, aber als sie auf mich einschlugen, ist sein Schal verrutscht, und da habe ich bemerkt, dass ich mich getäuscht hatte, es war nicht der Mann, für den ich ihn hielt. Aber der Graf … hat gehört, wie ich den Namen rief. Bestimmt hat er das gemeint. «
Antonina steht vor ihrem Sessel und forscht in Grischas dunklen Augen. » Danke « , sagt sie schließlich. Im selben Moment fällt ein brennendes Holzscheit krachend auf den Rost. » Du kannst jetzt gehen, Grischa. «
Grischa verbeugt sich und dreht sich um. Draußen lehnt er sich gegen die geschlossene Tür. Trotz seiner Abneigung gegenüber Konstantin Nikolajewitsch wünscht er ihm nicht den Tod.
Die Entführung ist nicht wie erwartet verlaufen.
Und der Tod eines Menschen war nicht Teil des Plans.
SECHS
H ätte Grischa geahnt, wie schrecklich schief das Ganze gehen würde, dass Soso ihn hereinlegen würde, hätte er sich nie darauf eingelassen.
All die Jahre über, seit er Soso, Liljas Mann, kennt, hatte er nicht die leiseste Ahnung, aber inzwischen ist ihm klar geworden, dass dieser Mensch ihn genauso hasst wie er selbst Konstantin. Konstantin wiederum hat nicht im Entferntesten geahnt, welch tiefen Groll Grischa ihm gegenüber hegt. Wegen seiner hochmütigen Art und der Selbstverständlichkeit, mit der er immer wieder irgendwelche Gefälligkeiten von ihm verlangt.
Und nun tut man Grischa genau das Gleiche an, was er Konstantin antun wollte. Soso bestraft Grischa, so wie Grischa Konstantin bestrafen wollte – indem er ihn erpresste, Geld von ihm forderte.
Schon als Soso Grischa eines Januarabends zum
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