Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Wimpern verschwanden. Er bohrte mit dem kleinen Finger im Ohr. » Wir werden Geld von ihm bekommen, einen Haufen Geld. Oder hast du etwa vor, zu bleiben und weiter für den alten Scheißkerl zu rackern? «
Grischa zuckte die Schultern. » Ich bin kein Leibeigener. Meine Lage ist nicht mit deiner vergleichbar. «
» Aber er behandelt dich wie einen Leibeigenen. Das ist mir nicht entgangen. Willst du dir das weiter gefallen lassen? Hm? Oder bist du dabei? «
Grischa zögerte mit seiner Antwort. Wieder rief er sich das Bild vor Augen, wie Tanja mit der benutzten Bettwäsche über dem Arm aus seinem Schlafzimmer trat. » Kommt darauf an « , sagte er dann. Er wusste, dass er betrunken war, und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. » Was hast du vor? «
» Mein Plan ist noch nicht ganz fertig « , sagte Soso. » Aber wenn ich weiß, dass du mitmachst, wird es einfacher sein. Außerdem habe ich ein paar Freunde … die uns helfen werden. «
Grischa erhob sich achselzuckend und verließ Sosos Zimmer. Schwankenden Schritts begab er sich vom Dienstbotenquartier zu seinem Häuschen.
Am nächsten Tag plagte ihn der Kater, und er tat das nächtliche Gespräch als das Gefasel zweier Betrunkener ab, die sich gegenseitig in ihren Rachegelüsten hochgeschaukelt hatten.
Aber nachdem wenige Wochen später tatsächlich die Aufhebung der Leibeigenschaft verkündet worden war, kam Soso erneut zu ihm und fragte, ob er es ihm ernst damit sei, bei seinem Vorhaben mitzumachen, dem Grafen Geld abzunötigen. Und Grischa erwiderte, er müsse es sich erst noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
» Wie gesagt, ich habe Freunde. Ich kann mich für sie verbürgen. Es sind dekorierte ehemalige Kosaken. « Soso ließ nicht locker.
Grischa war sich nicht sicher, ob er Soso trauen sollte, und erst recht nicht dessen Freunden, Edik und Lew. Soso schien sich indes einen festen Plan zurechtgelegt zu haben: Sie wollten den Sohn des Grafen entführen. Ihn entführen, Lösegeld fordern, das Geld entgegennehmen und den Sohn zurückgeben. Ganz einfach. Aber Grischa gefiel der Plan nicht. Er sagte Soso, er solle sich etwas anderes ausdenken. Keine Entführung. Ihm behagte der Gedanke gar nicht, Michail Konstantinowitsch einer Gefahr auszusetzen. Aufgrund seiner Stellung hatte Grischa jederzeit Zugang zum Haushalt. Er hatte den Jungen aufwachsen sehen. Mischa schlug sowohl in Aussehen als auch Charakter seiner Mutter nach und war ein charmantes Kind. Grischa mochte ihn.
Wenn es bei dem Plan um Mischa ging, wollte er nicht mitmachen.
Soso versicherte ihm, dass man Mitlowskis Jungen nicht schlecht behandeln würde und dass er in den ein, zwei Tagen, die man ihn gefangen halten würde, gut zu essen bekäme und es warm haben würde. Ein paar Tage, länger würde es nicht dauern. Und wenn Grischa die im Erpresserbrief geforderte Summe überbringen würde, würde man sie durch vier teilen, erklärte Soso. Das Geld würde ausreichen, damit jeder von ihnen ein neues Leben beginnen könne – sich zum Beispiel ein Stück Land oder ein kleines Geschäft kaufen könne. Nie wieder müssten sie für jemand anderen arbeiten.
Soso sagte, er, Edik und Lew seien entschlossen, die Entführung in Angriff zu nehmen. Grischa hingegen weigerte sich. Nur wenn Grischa mitmache, könne die Entführung reibungslos vonstattengehen, erklärte Soso. Nur er verfüge über die notwendigen Informationen bezüglich der jeweiligen Schritte des Grafen. Aber auch wenn Grischa nicht mitmache, würden sie den Plan in die Tat umsetzen, allerdings müssten sie dann womöglich doch Gewalt anwenden, um des Kindes habhaft zu werden. Es könnte zu einem Blutvergießen kommen. Wer weiß, was dem Jungen zustoßen könnte? » Lew und Edik werden nicht ewig warten « , fügte Soso hinzu. Der Ball war jetzt bei Grischa – wollte er tatsächlich das Risiko eingehen, dass etwas schiefging? Würde er mit dieser Schuld leben können?
Schuld. Ohne es zu wissen, hatte Soso genau die richtige Taktik verfolgt. Und so erklärte sich Grischa bereit, es Soso wissen zu lassen, wenn sich eine günstige Gelegenheit bot, den Jungen zu entführen. » Aber « , sagte er, » ich werde dafür sorgen, dass ihr Michail Konstantinowitsch kein Haar krümmt. «
Auch gab er zu bedenken, dass der kleine Mitlowski, obwohl noch keine zehn, äußerst klug sei. Die Kosaken kannte Mischa zwar nicht, wohl aber Soso; schon als kleines Kind hatte er sich frei auf dem Gut bewegen dürfen, und er kannte alle Leibeigenen. Es
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