Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Ich bin froh, dass es hier jemanden gibt, der das Ruder in der Hand hält. «
» Gräfin Mitlowskaja nimmt das alles sehr mit « , sagt Grischa. » Aber wie steht es um den Grafen? «
» Gar nicht gut. Da die Wunde nicht richtig behandelt wurde, hat sie sich infiziert. Er hat eine Blutvergiftung, die nun seinen Arm hinaufwandert. Es besteht die Gefahr, dass sie sich auf den restlichen Körper ausweitet. «
» Wird er überleben? «
Der Arzt zuckt die Schultern. » Das liegt jetzt in Gottes Hand. Wir können nur abwarten. « Er dreht sich um und steigt die Treppe hinab.
Grischa blickt ihm nach.
An diesem Abend schickt Antonina Pawel weg, damit er sich ausschlafen kann. Mit Tinka im Schoß wacht sie neben Konstantins Bett; was sie betrifft, weiß sie sowieso, dass an Schlaf nicht zu denken ist. Über den Tag verteilt hat sie ein paar Löffel Laudanum zu sich genommen. Die Mischung aus Opium und Alkohol hat sie immer wieder eindösen lassen, und am liebsten wäre sie nicht wieder aus dem traumartigen Zustand aufgetaucht, in den die trübe Flüssigkeit sie versetzt hat.
Nun sitzt sie im Dunkeln, die Wange auf die Hand und den Ellbogen auf die Armlehne des Sessels gestützt. Die andere Hand ruht auf Tinkas Kopf. Irgendwann meint sie ein Murmeln von Konstantin zu hören.
Indem sie Tinka mit einer Hand an sich drückt, steht sie auf und kniet sich neben das Bett. » Sprich, Gatte « , sagt sie im Flüsterton. » Wenn du kannst, so sprich in Gottes Namen. «
In der Dunkelheit kann sie nicht erkennen, ob Konstantin die Augen geöffnet hat, aber er flüstert etwas. » Was willst du mir sagen? « Sie fasst ihn an der Schulter. Sie fühlt sich knochig an, als wäre das Fleisch im Begriff abzufallen.
Dann hört sie, wie er » Grischa « sagt.
» Grischa? Aber er ist nicht hier; es ist mitten in der Nacht. Warum willst du jetzt mit Grischa reden? «
» Grischa weiß « , sagt Konstantin. Das zweite Wort ist wie ein lang gezogener Seufzer.
» Weiß was? Was weiß er? Ich habe mit Grischa gesprochen, und er hat mir erzählt, was geschehen ist. «
» Weiß « , sagt Konstantin abermals, so leise, dass Antonina ihr Ohr an seinen Mund legen muss, um ihn zu verstehen.
» Was weiß er? « , fragt Antonina wieder, aber Konstantin sagt nichts mehr. Sie fasst ihn fester an der Schulter und versucht, ihn aufzuwecken, jedoch vergeblich. Er ist wieder in tiefen Schlaf oder gar Bewusstlosigkeit gesunken.
Antonina ist klar, dass das Wundgift ihn krank gemacht hat und dass es vielleicht nicht so weit gekommen wäre, wenn er die Wunde rechtzeitig hätte behandeln lassen. Oder wenn er ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen würde.
Im Grunde ist er im Begriff, sich umzubringen. Mit der gleichen Engstirnigkeit und verbissenen Hartnäckigkeit, die er sein ganzes Leben lang an den Tag gelegt hat, will er jetzt zu Ende bringen, was er begonnen hat. Er möchte sterben.
» Ich weiß, was du tust « , sagt sie im Flüsterton zu ihm. » Weil du nicht mit deiner Schuld leben kannst, machst du dich feige aus dem Staub. Du bist schuld, dass wir unseren Sohn verloren haben, weil du nicht auf mich gehört hast, und jetzt lässt du mich allein die Folgen tragen. Lässt mich allein mit meiner Hoffnung, willst, dass ich allein am Fenster stehe und nach Mischa Ausschau halte und mir die Knie wund bete. Und du mutest mir nicht nur zu, dass ich diese unerträgliche Last allein trage, du willst mir auch noch die Witwenschaft aufbürden. «
Natürlich antwortet er nicht, und Antonina bleibt nichts anderes zu tun, als aufzustehen und zu ihrem Sessel zurückzukehren.
Am nächsten Morgen versagt sich Antonina das Laudanum – sie muss hellwach sein –, wobei sie sich am späten Vormittag ein Glas Wein genehmigt. Sie hat nach Grischa geschickt und hofft, dass der Wein das Zittern ihrer Hände beruhigt, während sie in Konstantins Büro auf ihn wartet.
» Und jetzt, Grischa? « , fragt sie, als er das Zimmer betritt. Sein Gesicht ist von dunklen Blutergüssen entstellt. Sie sitzt in einem Sessel vor dem Feuer, und Grischa steht neben dem Kamin. » Was sollen wir jetzt bloß tun? «
Grischa vermeidet es, sie anzusehen, und schiebt mit der Stiefelspitze verkohlte Holzstückchen in die Feuerstelle zurück. » Wir werden natürlich weiter nach Michail Konstantinowitsch suchen, Gräfin. Gestern waren wir alle den ganzen Tag unterwegs, und heute werden Ljoscha und die anderen die Suche fortsetzen. Ich selbst muss hier einige dringende Angelegenheiten
Weitere Kostenlose Bücher