Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Kartenspielen in das Dienstbotenquartier einlud, hätte Grischa stutzig werden müssen. Aufgrund seiner gehobenen Stellung auf Angelkow begegnen die anderen Männer ihm mit verhaltener Ehrerbietung. Schließlich war er es, dem die Leibeigenen des Gutes unterstanden; er berichtete dem Grafen ihre Regelverstöße oder ihre Ungehorsamkeit und maß ihnen in den meisten Fällen die jeweilige Strafe zu. Grischa weiß, dass er den Leibeigenen Unbehagen einflößte. Wenn er in der Nähe war, mussten sie auf der Hut sein. Er ist kein Mann, der die Gesellschaft anderer Männer oder Frauen sucht, und er hat Soso noch nie besonders leiden können. Aber es war ein ungewöhnlich harter Winter, und die Nächte waren lang, dunkel und eisig. Und so schien ihm ein Spielabend mit den anderen Männern, bei dem reichlich Wodka fließen würde, mit einem Mal verlockend, und er schob seine Bedenken beiseite.
Als sie die zweite Flasche aufmachten, wurde Soso gesprächig. Er begann von seinem Hass auf den Grundbesitzer zu reden und erzählte von einigen Vorfällen, über die er sich in der letzten Zeit besonders geärgert hatte: Zum Beispiel hatte der Graf zwei Lagerarbeiter an ein anderes Gut verkauft, was für Soso noch mehr Arbeit bedeutete. Außerdem hatte der Graf ihn wegen eines verschütteten Sacks Hafer ausgeschimpft und vor den anderen gedemütigt, ja sogar seinen Lohn gekürzt.
» Er behandelt uns, als wären wir weniger wert als seine verfluchten Pferde « , schimpfte er.
Und Grischa stimmte ihm zu. Graf Mitlowski war ein grausamer Sturkopf. Dabei gab es durchaus Grundbesitzer, die ihren Leibeigenen freundlich und geduldig begegneten. Aber nicht Mitlowski: Für ihn waren sie, wie Soso zu Recht gesagt hatte, kaum mehr als Tiere. » Er glaubt wohl « , sagte Soso, indem er seine Karten auf den Tisch warf, » wenn er uns an Weihnachten eine Handvoll zusätzliche Rubel hinschmeißt oder uns übers Jahr ein paar Flaschen Wodka gibt – meine Güte, immerhin hat der Mann eine eigene Schnapsbrennerei –, er ist ein Heiliger. « Er spuckte auf den Boden.
Grischa leerte sein Glas und spürte, wie die alte Wut wieder in ihm hochkroch. » Ich bin es, der Angelkow führt, der ihm die Buchhaltung erklärt. Er holt sich bei mir Rat in finanziellen Dingen. Hat das Gut unter dem letzten Verwalter genauso erfolgreich gewirtschaftet? Nein. Er hat allen Grund, mir dankbar zu sein, aber stattdessen tut er so, als müsste ich ihm danken. « Er ließ unerwähnt, dass der Graf sein Haus – mehr noch, Grischas Bett – für seine Schäferstündchen mit Tanja benutzte. Gewiss, das Häuschen mit den blauen Fensterläden gehörte dem Grafen, aber dass er sich diese Dreistigkeit herausnahm, war für Grischa die schlimmste aller Kränkungen seitens des Grafen.
Er langte nach der Flasche und füllte die Gläser, dann erhob er seines. » Auf die Ehrlichkeit « , sagte er. Obgleich er wusste, dass der Alkohol es war, der ihm die Zunge löste, fühlte er sich in Sosos kaltem, dämmrigem Zimmer im Dienstbotenquartier mit einem Mal kameradschaftlich mit dem Vorarbeiter verbunden. Soso, bis vor Kurzem noch ein Leibeigener, war einer der besten Arbeitskräfte auf Angelkow. Er kümmerte sich um die Scheunen, Kornspeicher und das Vorratslager und sorgte dafür, dass alles immer gut gefüllt war, um den Bedarf des riesigen Gutes sicherzustellen. Zusammen mit Lilja und deren jüngeren Bruder Ljoscha war er zehn Jahre zuvor auf das Gut gekommen, kurz vor der Geburt des Grafensohnes.
Von Anfang an hegte Grischa eine widerwillige Bewunderung für Soso, der, ein paar Jahre älter als er, kräftig und unermüdlich war. Klaglos verrichtete er seine Arbeit – meistens jedenfalls. Und als er ihn plötzlich so offen über den Grafen reden hörte, nahm Grischa an, dass er ihn, den Verwalter, schätzte und vertraute.
» Der Tag unserer Befreiung wird kommen, und ich werde bestimmt nicht mit leeren Händen weggehen, nachdem ich ein Leben lang geschuftet hab. « Soso hob sein Glas und prostete Grischa zu. » Wenn Mitlowski glaubt, er kann uns genauso viel Arbeit abverlangen, wenn wir frei sind, ist er auf dem Holzweg. « Er kippte seinen Wodka hinunter. » Ich bin gerade dabei, mir einen Plan zu überlegen, wie wir – du und ich – bekommen, was uns zusteht. Einen Plan, der es uns ermöglicht, ein neues Leben zu beginnen. « Soso sah Grischa eindringlich an und machte dabei ein so finsteres Gesicht, dass seine Augen beinahe unter seinen schweren Lidern mit den kurzen
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