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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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oberen Treppenabsatz erreicht, als die Kerzenflamme kurz zischte und noch kleiner wurde, ohne jedoch ganz zu erlöschen.
    Bis auf ein winziges Glimmen war es nun vollkommen dunkel um Antonina, und sie streckte vorsichtig die Hand aus, um die verborgene Holztür zu ertasten. Sie drückte leicht gegen das Holzpaneel, das auf der Innenseite, im Zimmer ihrer Mutter, mit Tapete überzogen war, sodass es nicht als Tür zu erkennen war. Sie hoffte inständig, dass inzwischen kein Möbelstück, kein Ankleidetisch oder schwerer Sessel, davor gerückt worden war; immerhin wurde der Durchgang schon seit Langem nicht mehr benutzt. Aber die Tür schwang leicht und geräuschlos auf. Da die Temperaturen noch niedrig waren, war das Holz noch nicht aufgequollen und verzogen wie in den heißen, feuchten Sommermonaten.
    Antonina duckte sich, um mit dem Kopf nicht gegen den niedrigen Türsturz zu schlagen, und trat in das längliche Zimmer. Als sie sich wieder aufrichtete, hörte sie ein Geräusch.
    Sie hielt inne, wartete, bis sich ihre Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten. Im Kamin glühte ein mattes Feuer, und ein trockenes Eichenholzscheit knackte leise. Sie stand gegenüber dem Fuß des Bettes und blickte auf ein Gewirr aus Bettlaken. Zuerst sah sie nur einen nackten Rücken, weiß und lang. Im nächsten Moment erkannte sie anhand der roten Blüte in dem fülligen blonden Haar, dass es ihre Mutter war. Ein paar Strähnen hatten sich aus den Kämmen ihrer Hochsteckfrisur gelöst und hingen bis zu ihren Schulterblättern hinab.
    Antonina erstarrte und hielt den Atem an, während sie wie hypnotisiert auf den Rücken ihrer Mutter sah.
    Galina Maksimowna Olonowa bewegte sich in einem langsamen, leichten Rhythmus vor und zurück, als ritte sie auf ihrem Lieblingspferd. Antonina war wie gelähmt, nicht so sehr vom Anblick des nackten, schweißglänzenden Rückens ihrer Mutter, auf den das erlöschende Kaminfeuer Schatten warf, sondern von dem Anblick der Hände auf den Hüften ihrer Mutter. Die Finger dieser Hände waren lang und geschmeidig, die Nägel kurz geschnitten und sauber. Sie hielten ihre Mutter locker umfangen – nicht voller Leidenschaft oder besitzergreifend, sondern gelassen und ruhig.
    Mit der Kerze in der Hand stand Antonina wie angewurzelt da.
    Sie presste die Lippen zusammen und sah zu, wie ihre Mutter immer schneller und schneller ritt, während sie winzige Schreie ausstieß. Vom Besitzer der Hände war kein Ton zu hören, und er schien sich überhaupt nicht zu bewegen. Ihre Mutter war die treibende Kraft, sie allein strahlte die Hitze der Leidenschaft und der lustvollen Begierde aus; an einem gewissen Punkt umklammerte ihre Mutter die Hände des Mannes, als wollte sie ihn dazu bewegen, seinen Griff noch zu verstärken. Im nächsten Moment ließ sie die Hände los, umfasste ihre Brüste und warf den Kopf in den Nacken, sodass ihre losen Haarsträhnen bis zur Mitte ihres Rückens reichten.
    Wären da nicht diese körperlosen Männerhände gewesen, hätte man fast den Eindruck haben können, ihre Mutter sei allein.
    Ein lang gezogener, kehliger Schrei, dann war es vorbei. Ein paar Sekunden herrschte Stille, ehe sich ihre Mutter nach vorn sinken ließ. Und in diesem Moment konnte Antonina über die Gestalt ihrer Mutter hinweg, deren Haar sich auf die Brust des Mannes ergoss, sein Gesicht sehen. Er lag auf einem seidenbezogenen Kissen. Sie starrte ihn an, und er sah zurück.
    Es war der Geiger aus dem Leibeigenenorchester, der junge Mann mit der Prellung auf dem Wangenknochen. Während ihre Mutter auf ihm lag und leise wohlige Geräusche ausstieß, sah er sie an.
    Sie wusste, dass ihr Gesicht von der winzigen Flamme ihrer Kerze beschienen wurde. Gleichzeitig spürte sie, wie warmes, geschmeidiges Wachs auf ihre Hand tropfte. Die Kerze war kurz davor auszubrennen, nur noch eine winzige Flamme in dem warmen schmelzenden Talg, die schmerzhaft zwischen Antoninas Zeigefinger und Daumen verglühte. Plötzlich nahm sie einen eigenarteigen Geruch wahr: nicht nur den vertrauten schweren Duft des Eau de Cologne, das ihre Mutter trug, sondern auch Schweiß und noch etwas anderes, Moschusartiges. Der Geruch von Sex, wie Antonina instinktiv wusste.
    Der junge Mann gab weder einen Laut von sich, noch bewegte er sich. Er wandte den Blick nicht von Antonina ab, die ihn weiterhin anstarrte. Sein Gesicht, das so ausdrucksstark war, wenn er Geige spielte, auf dem sich Freude und Leidenschaft spiegelten, zeigte jetzt nichts, weder

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