Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Michail vier war – Schumanns » Kinderball « für vier Hände –, und wie er zu ihr aufgesehen hatte, als die letzten Akkorde verklangen. Auch heute noch sieht er sie jedes Mal mit genau diesem Blick an, wenn er ein besonders schwieriges Stück gemeistert hat, zufrieden mit sich ist und seine Freude mit ihr teilen will.
An diesem führen Nachmittag spielte er Glinkas Nocturne La Séparation in f-Moll, als Konstantins laute Stimme sie aufschreckte, sodass sie ein paar Tropfen des purpurnen Rotweins auf ihren Rock vergoss.
» Ich nehme den Jungen auf einen Ausritt mit « , sagte er.
Sie umklammerte das Glas und stand auf. Michail spielte weiter. » Lass ihn zuerst das Stück beenden « , entgegnete sie. » Wegen seines Fiebers konnte er mehrere Tage nicht Klavier üben. «
Konstantin begegnete ihrem Blick. » So früh schon, Antonina? «
Sie reckte das Kinn. » Ich habe mir solche Sorgen um ihn gemacht. Das weißt du doch. « Während sie seinem Blick standhielt, hob sie das Glas an die Lippen und trank in langsamen Zügen.
Sie sah, wie er einen angespannten Zug um den Mund bekam, dann hob er völlig unvermittelt die Hand und schlug ihr das Glas aus der ihren. Es zerschellte am Kamin, und ein paar Notenblätter segelten zu Boden, in die Rotweinlache mit den Glasscherben. Michail hörte abrupt auf zu spielen, sprang auf und hielt sich die Ohren zu.
» Schau nur, was du angerichtet hast! « , schrie Antonina. » Warum musst du ihn immer so aufregen? «
» Ich rege ihn nicht auf « , sagte Konstantin und erhob die Stimme. » Ich schäme mich vor den Bediensteten, wenn sie dich in diesem Zustand sehen. «
» Vater « , sagte Michail, rannte zu Antonina und schlang die Arme um ihre Taille, » bitte hör auf. Mach Mama nicht traurig. «
» Es ist schon gut, Liebling. « Antonina streichelte ihm den Kopf. » Mir geht es gut, wirklich. Geh jetzt zum Klavier zurück und spiele das Nocturne zu Ende. Du spielst es wunderschön. Du hast nicht eine einzige Note vergessen. Geh, mein Liebling, und spiel es zu Ende. «
Aber Konstantin schüttelte den Kopf. » Du reitest jetzt mit mir aus, Michail. Du verbringst zu viel Zeit hier drinnen. Nachdem du so lange krank warst, wird dir Bewegung guttun. Grischa hat die Pferde gesattelt. Nun komm. «
Als er sich mit großen Schritten entfernte, löste sich Michail von ihr und sah erst sie an, dann das Klavier. Bekümmert blickte er seinem Vater nach.
Antonina hätte so gern gehabt, dass er das Nocturne zu Ende spielte. Ein nicht zu Ende gespieltes Stück war wie ein angefangener Satz, der unvollendet in der Luft hing. Sie war nicht immer so gewesen, so ängstlich und so schnell aus der Fassung zu bringen. Wie immer begann das Zittern unmittelbar unter der Haut. Dabei konnte sie den besorgten Ausdruck auf dem Gesicht ihres Sohnes kaum ertragen.
» Nun geh, Liebling. Tu, was dein Vater dir sagt. «
Er nickte, wirkte aber noch immer verstört. Sie musste gegen den Impuls ankämpfen, ihn zurückzuhalten und fest an sich zu drücken. Sie sehnte sich danach, seine zarten Schultern zu spüren, ihr Gesicht in seinem dichten blonden Haar zu bergen und seinen Duft einzuatmen.
Und daran wird sie von nun an immer denken müssen: Sie hat ihn geheißen, mit seinem Vater zu gehen. Was, wenn sie ihn zurückgehalten hätte, Nein, Mischa, nein, gerufen hätte. Ich erlaube es nicht. Du bleibst hier, bei mir, wo du sicher bist. Was, wenn sie das gesagt hätte? Hätte sie verhindern können, dass Konstantin ihn mitnahm?
Michail schnappte sein ledergebundenes Notenheft vom Klavier und rannte seinem Vater nach. Antonina machte einen Schritt, um ihm zu folgen, da knirschte eine Scherbe unter ihrer Sohle. Sie sah zu Boden, und ihr Blick fiel auf das Notenblatt neben ihrem Fuß.
Für Antonina Leonidowna zu ihrem Namenstag. Voller Bewunderung und Respekt, Walentin Wladimirowitsch. 14. März 1849.
Das Blatt war von purpurroten Flecken übersät. Als sie sah, dass Konstantin sogar das ruiniert hatte – die Noten zu diesem wunderschönen Stück von Glinka, ein Geschenk, das ihr unendlich viel bedeutete –, ging Antonina zur Anrichte und schenkte sich ein weiteres Glas aus der Karaffe ein. Sie leerte es in einem Zug, dann stellte sie das Glas zurück und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
» Lilja! « , rief sie. » Lilja! Bring Mischas Jacke und Mütze. Er reitet aus. «
Aber natürlich hatte Michail die Mütze nicht aufgesetzt.
Und nie wird sie diese letzte Szene vergessen, die
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