Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
an die Lippen gepresst schluckt sie. Nein, sie wird sich vor der Dienerschaft keine Blöße geben. Ihre Kehle brennt, als sie die Hand wieder sinken lässt. » Mitgenommen? « Sie räuspert sich. » Von wem? «
» Das weiß ich nicht, Gräfin. Ich habe sie nicht gesehen; der Graf sagt, es waren drei Männer. Er braucht einen Arzt, gnädige Frau. «
Erst jetzt ergreift Konstantin das Wort, sagt mit lauter Stimme: » Nein. « Er richtet sich auf. » Wir haben keine Zeit für einen Arzt. Bringt sauberes Leinen. « Langsam wickelt er den Schal von seiner Hand und zuckt zusammen.
Antonina blickt auf Konstantins Hand. Der Handrücken ist aufgeschlitzt, eine klaffende Wulst aus Sehnen, Adern und aus geronnenem und frischem Blut ist zu sehen.
» Aber, Graf Mitlowski! « , sagt Grischa. » Die Blutung ist zu … «
» Keinen Arzt, habe ich gesagt. Dafür ist keine Zeit. « Konstantin verzieht das Gesicht vor Schmerz und stößt einen Fluch aus.
» Gnädige Frau « – Grischa wendet sich an Antonina –, » seine Hand … bitte, entscheiden Sie, was wir tun sollen. «
» Ich erteile die Befehle « , sagt Konstantin zu Grischa. » Halte einfach den Mund. «
Antoninas Blick bleibt an Konstantins Hemd hängen: Auf dem schneeweißen Stoff zeichnet sich ein purpurner Fleck ab. Von seiner Hand, denkt sie. Nicht von Michail. Das Blut stammt von Konstantins Hand. » Holt Verbandszeug, um die Blutung zu stillen « , sagt sie mit fester Stimme in den Raum hinein. Sie hat nicht die Fassung verloren. Plötzlich fällt ihr Blick auf Konstantins unversehrte geballte Hand, aus der ein Stofffetzen herausragt. » Was hast du da in der Hand, Konstantin? « Sie geht zu ihm und versucht, seine Finger aufzubiegen. Aber seine Faust ist so starr wie die eines Toten. » Konstantin « , sagt sie leise und scharf. Er öffnet die Faust. Ein Wollstreifen mit einem kleinen Abzeichen, das darauf genäht ist, liegt auf seinem Handteller.
» Kosaken « , sagt sie. Ihre Stimme klingt wie die einer Fremden, rau und heiser, als hätte sie zuvor aus Leibeskräften geschrien. Kosaken, die Kavallerie der zaristischen Armee mit ihren Lanzen, Stutzen, Säbeln und Pistolen sind in Kriegszeiten wilde und räuberische Gesellen. Aber zurzeit herrscht kein Krieg.
Die Kosaken müssten jetzt fischen und Vieh züchten, ihrer gewohnten Arbeit nachgehen wie üblich in Friedenszeiten.
» Warum sollten Kosaken Mischa mitnehmen? « , fragt sie an Konstantin gewandt. Sie denkt an die Geschichten, die sie gehört hat. Dass die Kosaken in Kriegszeiten Bauernjungen entführen, um ihre Reihen zu füllen. » Sie brauchen zurzeit keine Jungen. Und vor allem keinen wie … Michail ist adeliger Abstammung. Warum, Konstantin? «
Konstantin zieht seine Hand zurück, seine Lippen sind geschürzt, die Haut darum herum ist weiß. Der Stoffstreifen mit dem Abzeichen gleitet zu Boden.
Antonina hört ein Rascheln im Rücken, dann schwere Stiefelschritte auf dem Fußboden. Die Kaminuhr tickt. Von der Tür ist ein Murmeln zu vernehmen. Dann tritt Olga, die alte Haushälterin, an das Kanapee und wickelt einen Baumwollstreifen um Konstantins Hand. Doch das Blut lässt sich nicht aufhalten, schon durchtränkt es den frischen Verband.
Antonina räuspert sich abermals und schluckt, schmeckt ihren sauren Speichel. » Geht es um Geld? Ist es das, Konstantin, eine Lösegeldforderung? « Ihre Stimme hat jetzt einen harten Klang. » Diese fortwährenden Unruhen – sie glauben wohl, sie können Kinder stehlen und dann Lösegeld fordern? « Ihr Blick gleitet zu der Dienerschar in der Tür, als wären sie, ihre eigenen Bediensteten, irgendwie verantwortlich für die Ereignisse im ganzen Land. Alle bis auf Lilja schauen zu Boden; ihre Zofe tritt vor und geht auf ihre Herrin zu. » Sie werden Lösegeld fordern « , sagt Antonina und sieht erneut Konstantin an. In der gespenstischen Stille des Raums klingt ihre Stimme laut. Und mit einem Mal ist sie von fiebriger Energie erfüllt; es wurde bereits zu viel wertvolle Zeit verschwendet. » Lösegeld! Lösegeld, wir werden es bezahlen. Natürlich. « Sie streckt die Hände aus, sie zittern.
Lilja tritt neben sie. » Gräfin « , sagt sie ruhig, und als sie ihre Stimme hört, lässt Antonina die Arme sinken.
» Ja « , sagt Konstantin. » Ja. Bestimmt wollen sie Geld, und wir werden es ihnen geben. « An Olga gewandt, die sich noch immer an dem Verband zu schaffen macht, fügt er hinzu: » Das reicht jetzt. Wir dürfen nicht warten, bis wir von ihnen
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