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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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gute Bouillon mit eingeschnittenem Weißbrot nichts einzuwenden, dazu vielleicht einen Kaffee mit Kardamom.«
    Die Magd pflichtete ihm bei: »O ja, Kaffee! Aber heiß müsste er sein, direkt aus einer Kanne mit Kohlebecken.«
    »Papperlapapp!« Schon wieder meckerte Friedrich. »Ihr solltet froh sein, wenn ihr Gänsewein kriegt. Den habe ich im Siebenjährigen Krieg auch immer getrunken.«
    »Gänsewein, was für Gänsewein?« Der Landmann gähnte, er war gerade erst wach geworden.
    »Gänsewein ist Wasser, du Döskopp.«
    »Ach ja, richtig«, brummte der Landmann, »ach ja, richtig.«
    Und während die Puppen all das sagten, lächelte Klingenthal scheinheilig, als hätte er mit der ganzen Sache nichts zu tun.
    Alena schüttelte den Kopf. »Du kannst es nicht lassen, Klingenthal, aber eines sage ich dir: Damit verblüffst du mich nicht mehr. Erteile deinen Puppen Sprechverbot, sonst kümmere ich mich nicht um das Feuer – und Frühstück gibt es dann schon gar nicht.«
    »Verzeih mir, Liebste«, sagte Klingenthal mit seiner eigenen Stimme und tat zerknirscht.
    »Und rasiere dich mal. Du hast dich seit drei Tagen nicht rasiert, siehst ja aus wie ein Kaktus.«
    »Jawohl, Liebste.«
    Alena wandte sich um und ging hangabwärts, passierte die Öffnung in der Mauer, die den Fuß der Bergkuppe stützte, und strebte dem nahen Wald zu. Es hatte vor ein paar Tagen in der Gegend kräftig gestürmt, weshalb sie hoffte, eine Menge herabgefallener Zweige zu finden. Der Wald war groß, aber jetzt im Winter wirkte er licht, denn die Bäume waren kahl, und das Laub lag in dichten Haufen auf dem Boden. Es ging sich gut auf dem federnden Waldboden, angenehmer als auf den vielen Chausseen, die das Land durchzogen. Über ein Jahr waren Klingenthal und sie unterwegs gewesen, seit sie am Heiligen Abend 1784 Potsdam verlassen mussten. Klingenthal war der Stadt verwiesen worden, weil er der Obrigkeit verschwiegen hatte, dass er Jude war. Alena rümpfte die Nase. Das angeblich so liberale Preußen war wie alle anderen Länder: voller Vorurteile. Immerhin hatte Klingenthal in den vergangenen Monaten mit seinen Darbietungen gut verdient, sehr gut sogar. Sie musste es wissen, denn nach jeder Stegreifvorstellung, die er gegeben hatte, war sie mit dem Hut herumgegangen und hatte beobachtet, wie so mancher Pfennig und so manches Vier-Groschen-Stück hineinfielen. Ein paarmal war es sogar vorgekommen, dass sich ein besonders spendabler Zuschauer von einem Mariengulden trennte. So hatte sich im Laufe der Zeit Taler für Taler angesammelt, und Klingenthal machte sich Hoffnung, dass seine Barschaft, die hauptsächlich aus landeseigener Cassen-Münze bestand, fürs Erste zum Studium reichen möge.
    Alena hielt inne, denn vor ihr erstreckte sich ein besonders hoher Laubhaufen. Sie fragte sich, ob sie ihn besser umgehen solle, entschloss sich aber dann, die Richtung beizubehalten. Die Kuppe des Hügels lockte, dort lag viel heruntergefallenes, totes Geäst.
    Sie ging weiter und merkte, dass sie mit jedem Schritt tiefer einsank. Es raschelte und knisterte, aber sie war sicher, es würde sich lohnen. Sie würde ein schönes Feuer entfachen und ein schönes Frühstück zubereiten, während Klingenthal schon das Zelt abbaute und die Sachen zusammenpackte. Sie würde …
    Und dann dachte Alena überhaupt nicht mehr daran, was sie alles machen würde, denn etwas wurde mit ihr gemacht: Irgendjemand packte sie an den Füßen und riss sie zu Boden. Es ging so schnell, dass ihr der Schreckensruf im Hals stecken blieb. Sie fiel der Länge nach hin, Laub wirbelte auf, und zwischen den herabfallenden Blättern erschien das Gesicht eines blonden Jünglings. Der Kerl musterte sie argwöhnisch. Dann aber, als er sah, dass von Alena keine Gefahr ausging, griente er über das ganze Gesicht. Mit heller Stimme rief er: »Gott zum Gruße, Gevatterin! Wohin des Wegs vor Tau und Tag?«
    »W… woher kommst du denn so plötzlich?«, stotterte Alena.
    »Ich lag gerade in Morpheus’ Armen, schöne Unbekannte.« Der Jüngling richtete sich halb auf und klopfte sich das Blattwerk von der Jacke. »Ich nächtigte im Bett des Waldes, wenn du das besser verstehst.«
    Alena fand langsam ihre Sicherheit wieder, denn auch sie spürte, dass von ihrem Gegenüber keine Bedrohung ausging. »Wie kommst du dazu, eine wehrlose Frau zu überfallen?«
    »Wie kommst du dazu, einen wehrlosen Schläfer mit Füßen zu treten?«
    Alena musste lachen. Der Blonde schien nicht auf den Mund gefallen zu

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