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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Dreibein, das den Topf mit der Suppe hielt, und sagte: »Da gibt’s nicht viel zu berichten. Ein Tag ist wie der andere. Die Menschen werden immer gesünder, Gott sei’s geklagt, keiner scheint Balsame zu brauchen. Im Winter, wenn’s kalt ist, nicht, und im Sommer, wenn’s warm ist, auch nicht. Niemandem läuft eine Laus über die Leber, niemandem kommt die Galle hoch, niemandem geht was an die Nieren. Und von Oberweißbach in Thüringen bis nach Hamburg an der Elbe sind’s tausend mal tausend Meilen. So kommt’s einem jedenfalls vor, wenn der Strich, den man geht, Jahr für Jahr derselbe ist. Nicht wahr, Pausback, du Sohn des Enak?«
    »Hmja.« Pausback schnaufte. »In Hamburg waren wir, in der
Schwan-Apotheke
waren wir.«
    »Ich weiß, wie es ist, wenn die Straßen nicht enden wollen«, sagte Klingenthal.
    »Haben in der Apotheke
Otho-Balsam
gegen Ohrensausen verkauft«, brummte Pausback.
    Klingenthal nickte, ging zu seinem Karren und holte Geschirr und Besteck und weitere Utensilien hervor. Alles war schon für den Abmarsch verstaut, aber nun wurde es wieder gebraucht. Er gab Alena eine große Majolika-Schüssel für die Suppe und teilte anschließend Löffel aus. Als er sah, dass Pausback etwas verloren herumstand, sagte er freundlich: »Komm, Pausback, setz dich zu uns. Du magst doch Rübensuppe? Oder sollen wir dir lieber ein paar Kartoffeln im Feuer rösten?«
    »Hm, hm. Ja.« Pausbacks Blick ging hilfesuchend zu Listig. Klingenthal hatte vergessen, dass »Oder-Fragen« für den Riesen zu kompliziert waren.
    Während Pausback sich im Gras niederließ, sagte Listig: »Gebt ihm, was ihr wollt, aber nicht zu viel. Er isst nur wie ein Vögelchen.« Was ausnahmsweise stimmte. So groß der Riese war, so klein war sein Appetit. Angesichts der geringen Mengen, die er aß, fragte sich jeder, wie sein Körper jemals solche Dimensionen hatte erreichen können.
    »Die Suppe braucht nicht mehr lange«, sagte Alena und wischte sich ein paar Tränen aus den Augen.
    »Nanu, liebe Alena, warum weinst du denn?«, erkundigte sich Listig.
    Alena schniefte. »Ich weine nicht.«
    »Vielleicht weinst du nicht, aber es rinnt Wasser aus deinen Augen.«
    »Das sind nur eure Zwiebeln. Ich habe sie geschält und in die Suppe getan.«
    Listig strahlte. »Rübenzwiebelsuppe! Welch lukullischer Genuss! Julius, du bist ein Glückspilz, hast eine Gefährtin, die kochen kann. Du solltest sie heiraten.«
    »Das will ich auch«, rutschte es Klingenthal heraus.
    »Wie bitte, höre ich recht?«
    »Er will es, aber es geht nicht«, sagte Alena, die von der Suppe probierte.
    Sie schien zufrieden, denn sie füllte das Ergebnis ihrer Bemühungen in die Schüssel.
    »Ei, warum soll das nicht gehen?«
    Alena stellte die dampfende Schüssel auf eine Decke im Gras. »Die Suppe ist nichts Besonderes, aber ich habe noch die Wurst hineingeschnitten und ein paar Eier hineingerührt. Nun ist sie schön dick.«
    »Und wird mir zweifellos munden, liebe Alena! Warum soll das nicht gehen?«
    »Du meinst die Heirat mit Klingenthal?«
    »Die meine ich.«
    In Alenas Augen trat Trauer. »Der Glaube steht zwischen uns. Ich bin Katholikin, und Klingenthal ist Jude.«
    Listig, gerade im Begriff, als Erster seinen Löffel in die Suppe zu tauchen, hielt inne. »Was, du bist Jude, Julius? Das wusste ich ja gar nicht.«
    Klingenthal verzog das Gesicht. Es war ihm nicht angenehm, dass die Unterhaltung diese Entwicklung genommen hatte. »Es gibt Dinge, mit denen ich nicht unbedingt hausieren gehe. Aber es stimmt. Ja, ich bin Jude.«
    Listig nahm erst einmal ein paar Löffel Suppe, stieß dezent auf – immerhin war er in Gesellschaft einer Dame – und sagte: »Dann wirst du eben Katholik.«
    »Das kommt nicht in Frage. Ich halte es mit der
Kaschrut
zwar nicht so genau, und meine Gebete verrichte ich auch nicht gerade regelmäßig, aber schon immer waren alle Mitglieder meiner Familie jüdisch, und ich werde da keine Ausnahme machen. Aber vielleicht würde Alena ja konvertieren?«
    »Kann ich ’ne Kartoffel?«, fragte Pausback.
    »Noch nicht«, sagte Alena, nachdem sie eine aus dem Feuer geholt und geprüft hatte. »Die Dinger sind noch nicht gar.«
    Listig schien das nicht zu scheren. Er biss in einen der Erdäpfel und sagte zu Alena: »Würdest du denn Jüdin werden?«
    »Das möchte ich auf keinen Fall. Ich liebe meinen Glauben. Ich käme mir wie eine Verräterin vor, wenn ich ihn aufgeben würde. Warum kann Klingenthal es nicht tun?«
    »Sapperment, ihr seid aber

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