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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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die diesen großartigen Regisseur interviewen möchten, bevor ihre Artikel morgen in den Zeitungen erscheinen.«
    Jemand kam mit einer frisch geöffneten Flasche vorbei, und Susan ließ es zu, dass ihr Glas neu gefüllt wurde. Sie wollte gerade einen Schluck nehmen, als sich die Tür öffnete und Esperanza eintrat. Nein, eintreten war das falsche Wort. Sie schwebte regelrecht in das Lokal, den Kopf hocherhoben, und sie strahlte, als wäre sie eben dem König höchstpersönlich begegnet.
    »Ihr glaubt nie, was gerade passiert ist!«
    Sofort verstummten alle Gespräche und das zwanglose Gelächter, und die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf Esperanza. Lediglich Doro sagte leicht unterkühlt: »Ich bin sicher, du wirst es uns gleich brühwarm erzählen. Die Gefahr, zu platzen, wäre ja sonst zu groß.«
    Esperanza beachtete die Spitze nicht. Sie trat zu Marty und legte eine Hand auf seinen Arm.
    »Besorgst du mir ein Glas Champagner, ja? Es gibt Grund, zu feiern.« Erst als Marty ihr das Gewünschte gebracht hatte, blickte Esperanza von einem zum anderen und erhob ihr Glas. »Lasst uns anstoßen, meine Freunde, heute ist ein großer Tag«, rief sie, als würde sie noch auf der Bühne stehen. »Denn mein Triumph wird auch der eure sein.«
    Susan runzelte die Stirn, und Hetty rief von hinten: »Na los, erzähl schon, damit wir weiterfeiern können.«
    Esperanza schenkte ihr nur einen kurzen, arroganten Blick, dann fuhr sie fort: »Ich weiß, dass ihr mich nicht mögt. Nun ja, die meisten jedenfalls, und dass ihr mich am liebsten auf dem Mond sehen würdet.«
    Es wurde sehr still, und alle sahen betreten zu Boden. Lediglich Pete flüsterte in die Stille hinein: »Das ist doch nicht wahr …«, wurde jedoch von Esperanza zum Schweigen gebracht. »Nun, dann sollten wir darauf anstoßen, dass ihr mich bald nicht mehr sehen müsst. Ich werde euch nämlich verlassen. Anfang April seid ihr mich los.«
    »Was?«
    »Wieso denn das?«
    »Wo gehst du hin? Zurück ans Royal Court?«
    Nun schwirrten die Fragen durcheinander. Esperanza war sich der vollen Aufmerksamkeit sicher, was sie sichtlich genoss. Mit einer selbstsicheren Geste warf sie ihr offenes Haar zurück und sagte leicht verächtlich: »Ans Royal Court? Sicher nicht, was kann dieses Provinztheater schon bieten?« Nicht nur Susan schnappte nach Luft, denn das
Royal Court
war nach wie vor das größte und bekannteste Theater des ganzen Landes. Langsam und genüsslich fuhr Esperanza fort: »In der heutigen Vorstellung saß Nathan Schneyder …« Den Rest des Satzes ließ sie offen.
    »Nathan … wer?«, fragte Joan, und Doro stieß Susan den Ellbogen in die Seite. An Doros überraschtem Gesichtsausdruck erkannte Susan, dass der Freundin dieser Name etwas sagte.
    »Nathan Schneyder ist der Intendant des Pigeon-Theatre«, sagte Esperanza, und zu Joan gewandt: »Ist mir schon klar, dass
du
solche Männer nicht kennst und auch niemals kennenlernen wirst.«
    »Das Pigeon-Theatre am … Broadway?« Susan holte tief Luft. »In Amerika?«
    Esperanza bedachte sie mit einem anerkennenden Blick.
    »Ganz recht, meine Liebe. Der Broadway befindet sich in New York, und New York bekannterweise in Amerika. Nathan Schneyder und sein Assistent, ein gewisser Leonard Kingsley, reisen derzeit durch England, um eine Darstellerin für ein neues Stück zu finden.« Susan hatte begriffen, noch bevor Esperanza weitersprach. »Die beiden Herren waren heute in meiner Vorstellung und haben danach sofort das Gespräch mit Theo und mir gesucht. Der Vertrag ist bereits unterzeichnet.«
    In den Sekunden der Stille, die folgte, hätte man eine Nadel fallen hören können, dann brach der Sturm los. Alle sprangen auf, umarmten Esperanza und beglückwünschten sie. Auch Susan hielt sich nicht zurück. Auf der einen Seite freute sie sich wirklich über den Erfolg der Kollegin, andererseits erkannte sie sofort, dass nach Esperanzas Weggang ihr wieder die besten Rollen offenstanden. In den letzten Jahren hatte die britische Presse regelmäßig über den Broadway, einem Viertel in New York am Times Square, berichtet, in dem neue Theater wie Pilze aus dem Boden schossen. In der Gegend rund um die berühmte
Metropolitan Opera
, die neben der Mailänder
Scala
das führendste Opernhaus der Welt war, waren Dutzende von Theatern entstanden, die ein breites Spektrum von ganz unterschiedlichen Stücken zeigten. Neben dem
Lyceum
und dem
Empire Theater
war in den letzten beiden Jahren auch in England immer wieder von

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