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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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zu. »Da du ja keine Jungfrau mehr bist, weißt du, dass Männer gerne ihren Verstand verlieren, wenn sie wogende, große Brüste, eine schmale Taille und lange, wohlgeformte Beine sehen.«
    Bei jedem anderen wäre Susan über solche Worte schockiert gewesen, bei Sarah Bernhardt schienen sie jedoch selbstverständlich zu sein. Kurz warf sie einen Blick auf ihr eigenes Dekolleté. Ihre Figur konnte sich zwar sehen lassen, aber sie war ebenso wie Sarah sehr schlank und ihre Brust eher knabenhaft, auf keinen Fall üppig. Sarah hatte ihren Blick bemerkt und lachte laut.
    »Tja, meine Liebe, mit solchen Reizen können wir nicht dienen, trotzdem habe ich es geschafft, das Publikum auf der ganzen Welt zu bezaubern. Du wirst es auch schaffen, denn letztendlich setzen sich Talent und Können immer noch gegen weibliche Reize durch.«
    Susan nickte lächelnd. Sarah hatte es mal wieder auf den Punkt gebracht. Sie würde jedoch niemandem von deren Vermutung erzählen, Esperanza hätte Theo umgarnt. Erst recht nicht Doro, die nach wie vor in Theo verliebt zu sein schien, der sie zwar als Assistentin schätzte, ihr als Frau jedoch keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. Susan konnte sich vorstellen, was Doro mit Esperanza machen würde, sollte es sich bestätigen, dass diese und Theo eine intime Beziehung führten.
    »Wie geht es dir?« Susan wechselte das Thema und griff über den Tisch hinweg nach Sarahs Hand. Sie erschrak, wie knochig diese war und wie dünn sich die Haut über den blauen Adern spannte. Es stimmte, Sarah Bernhardt war eine alte Frau, ihre Augen jedoch leuchteten mit einer jugendlichen Frische, die ihre zahlreichen Falten vergessen ließen.
    »Mir geht es gut, danke«, antwortete Sarah. »Du hast sicher davon gehört, dass ich ein bisschen Pech mit meinem eigenen Theater hatte.« Susan antwortete nicht, deutete nur ein Nicken an. »Wir suchten die falschen Stücke aus und besetzten sie mit den falschen Leuten. Ich wollte einem jungen Dramatiker, der mir leidtat, helfen, denn seine Stücke waren nicht schlecht. Das Publikum war offensichtlich anderer Meinung.« Sie seufzte leise und trank einen Schluck Wein, bevor sie fortfuhr: »Mitleid ist in unserem Beruf fehl am Platze. Mich hat die Sache eine Menge Geld gekostet, ich musste sogar mein Privatvermögen angreifen, aber jetzt gehe ich bald wieder mit einem neuen Stück auf Tournee.« Sie lächelte, und ihre Augen strahlten. »Ich bin sicher, das wird wieder ein großer Erfolg, und wir planen auch eine erneute Amerikatournee.«
    »Ich wünsche es dir so sehr«, sagte Susan und versuchte, überzeugend zu klingen. Sarahs Leben war die Bühne. Sie würde tatsächlich ihren letzten Atemzug auf einer solchen tun und damit in die Fußstapfen von Molière treten, der auf der Bühne der
Comédie Française
, dem Theater, das Sarah berühmt gemacht hatte, ausgerechnet in der Rolle des
Eingebildeten Kranken
gestorben war.
    Sarah gähnte verhalten und machte Susan damit deutlich, dass sie gehen wollte. Die beiden Frauen umarmten einander und tauschten die üblichen drei Wangenküsse aus.
    »Vergiss niemals, wer du bist, Susan«, sagte Sarah zum Abschied. »Stell dein Licht nicht unter den Scheffel und kämpfe für die Rollen, die du haben möchtest, ebenso wie du für das kämpfen musst, was dir im Leben wichtig ist.«
    Als Susan später in dem kleinen Hotelzimmer in ihrem Bett lag, dachte sie an die Worte der Freundin. Das Wichtigste in ihrem Leben waren ihre Kinder. Jimmy, der sich mit seinem Vater irgendwo aufhielt und den sie nie wiedersehen würde, und Anabell, die nie erfahren würde, wer ihre leibliche Mutter war. Susan lenkte ihre Gedanken auf ihre Arbeit. Vielleicht sollte sie von Theo wirklich fordern, ihr im nächsten Stück wieder die Hauptrolle zu geben, ansonsten würde sie das
Blue Horizon
verlassen. Wenn Sarah jedoch recht hatte und Esperanza ihre Rollen nur dadurch bekam, weil sie mit Theo ins Bett ging, würde Susan sich nur ins eigene Fleisch schneiden. Wobei sie diese Möglichkeit ausschloss. Während der Proben sparte Theo nicht mit Kritik an Esperanza. Es war schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, zu glauben, dass zwischen den beiden tatsächlich eine sexuelle Beziehung bestand. Esperanza würde sie es durchaus zutrauen. Die Frau ging über Leichen, wie man so sagte, um ihre ehrgeizigen Pläne zu verfolgen, aber Theo …? Nun, im Prinzip ging Susan dies nichts an. Sie wollte das Jahr abwarten und dann entscheiden, was sie tun würde.
     
    Den Weihnachtstag

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