Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
Vom Netzwerk:
Antwort geben.
    »Lavinia suchte mich im Gefängnis auf, da sah ich sie zum ersten Mal. Dann wurde ich entlassen, und nach wenigen Tagen reisten wir nach Cornwall«, antwortete Rosalind und zuckte mit den Schultern. »Ich kann dir nicht mehr sagen, Mutter, da ich Lavinia vorher ja nicht kannte.«
    Rosalind machte sich zusehends Sorgen um ihre Schwägerin, die von Tag zu Tag depressiver wurde. Sie wusste jedoch nicht, wie sie ihr helfen konnte, da Lavinia jedem diesbezüglichen Gespräch auswich. Einmal hatte sie sogar die Beherrschung verloren und Rosalind angeschrien, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.
     
    In ihrem Schlafzimmer hörte Lavinia, wie jemand vor der Tür verharrte. Sicher brachte Rosalind Anabell zu Bett. Lavinia seufzte. Früher hatte sie das immer selbst getan, es nicht einmal dem Kindermädchen überlassen, doch heute fühlte sie sich nicht in der Verfassung, ihrer Tochter gegenüberzutreten. Das Mädchen bekam ohnehin schon mehr mit, als gut für sie war.
    Im Zimmer war es fast dunkel, denn Lavinia hatte keine Lampe angezündet. Durch die geöffneten Vorhänge fiel fahles Mondlicht und ließ die Möbel wie geisterhafte Schatten erscheinen. Lavinia sehnte sich nach Schlaf, wusste zugleich, dass ihr das nicht vergönnt sein würde. Vor den Nächten fürchtete sie sich mehr als vor den Tagen, an denen sie sich immer mal wieder ablenken konnte. Wenn der Schlaf irgendwann doch kam, dann träumte sie. Es waren jedoch keine Alpträume, die sie fürchtete, sondern glückliche Träume, in denen sie mit Sebastian zusammen war. Hand in Hand liefen sie über eine Wiese, scherzten und lachten, und irgendwann küsste Sebastian sie. Selbst im Traum spürte Lavinia die rauhe Haut seiner Wangen und die Wärme seiner Lippen. Dann erwachte sie … und war allein. Sebastian war fort und würde niemals wiederkommen.
    Langsam, als steckte auch in ihren Gliedern der Rheumatismus, erhob sie sich und ging zu ihrem Schreibtisch. Sie öffnete die oberste Schublade, und ihre Hände tasteten ganz nach hinten, bis sie ein kleines Buch erfühlte. Es war ein schmaler Gedichtband von Robert Burns. Sebastian hatte ihn ihr einmal geschenkt, als sie feststellten, dass sie beide die Verse des schottischen Dichters liebten. Lavinia knipste die Schreibtischlampe an und entnahm dem Buch eine abgegriffene Fotografie. Sie wusste, es wäre besser, sich nicht immer wieder Sebastians Bild anzusehen, denn so würde sie ihn niemals vergessen können. Das Foto und der Gedichtband waren jedoch die einzigen Erinnerungsstücke an ihn. Er hatte das Bild bei einem Fotografen in Truro machen lassen und es ihr geschenkt, als sie vor zwei Jahren Edward nach London begleiten musste.
    »Damit du mich in der Stadt nicht vergisst«, hatte Sebastian mit einem wehmütigen Lächeln gesagt.
    Lavinia hatte ihn umarmt und liebevoll geküsst.
    »Wie könnte ich dich jemals vergessen. Du bist für immer in meinem Herzen.«
    Fast zwei Jahre war dies nun her. Zwei Jahre, in denen kein Tag vergangen war, an dem sie nicht an Sebastian gedacht hatte. Er war ihr erster Gedanke, wenn sie morgens erwachte, und ihr letzter, bevor sie nachts einschlief. Und er kam in ihren Träumen zu ihr. Wenn Lavinia aufwachte, waren ihre Wangen nass von Tränen, und sie zitterte und fror, obwohl es unter der Decke warm war.
    »Es war meine eigene Entscheidung«, sagte Lavinia laut, legte die Fotografie wieder zwischen die Buchdeckel und das Buch zurück in die Schublade. »Ich habe mich für meine Familie und gegen meine Liebe entschieden.«
    Nachdem Edward ihr das Ultimatum gestellt hatte, entweder sie beendete ihre Beziehung zu Sebastian, oder er würde für Rosalind keinen Finger krümmen, war Lavinia zum Schein darauf eingegangen. Keinen Moment hatte sie wirklich vorgehabt, sich von Sebastian zu trennen. Wenn sie und Rosalind erst in Cornwall waren, würde sie mit Sebastian sprechen und ihm alles erklären. Vielleicht wäre es besser, sich einige Zeitlang nicht zu sehen – Sebastian könnte ja auf eine längere Reise gehen –, doch dass er Cornwall für immer verließ, hatte Lavinia nie beabsichtigt. Sie wusste zwar nicht, wie oder durch wen Edward von ihrer Affäre erfahren hatte, darum würden sie künftig vorsichtiger sein müssen, doch Edward hielt sich so gut wie nie auf Sumerhays auf. Lavinia vertraute Mrs. Windle nach wie vor, die Frau war so lange bei ihr, sie würde sie nicht hintergehen. Auch Zenobia konnte keine Ahnung haben.
    Edward verlangte

Weitere Kostenlose Bücher