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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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rauswerfen?«
    Sie machte einen Schritt auf Susan zu, und ihr entschlossener Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass sie, wenn nötig, auch handgreiflich werden würde.
    Susan straffte die Schultern und hielt Jimmy, der inzwischen immer lauter weinte und auf ihrem Arm strampelte, fest umklammert.
    »Ich bin Susan Hexton, Pauls Ehefrau. Ich bin gekommen, meinen Sohn zu holen.« Verächtlich sah sie sich in dem Zimmer um. »Wie kann man ein Kind nur in einem solchen Dreck verkommen lassen?«
    »Ach, sieh an, die tote Ehefrau.« Die Frau stellte sich mit ausgebreiteten Armen in die Tür. Da sie sehr füllig war, konnte Susan sich mit dem Jungen auf dem Arm nicht an ihr vorbeidrängen.
    »Mama!«, rief Jimmy mit krebsrotem Gesicht und streckte die Arme nach der fremden Frau aus.
    »Ich sage Ihnen zum letzten Mal – geben Sie mir das Kind.« Die Stimme der Frau wurde gefährlich leise, und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sie haben Ihren Sohn bei Nacht und Nebel verlassen, sind einfach verschwunden. Paul dachte, Sie wären tot, auch wenn niemand Ihre Leiche gefunden hat. Jimmy hat eine neue Mutter. Sie sehen doch, dass er Sie längst vergessen hat.«
    Da Jimmy immer heftiger um sich trat und Susan ihn nicht mehr halten konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Sohn abzusetzen. Jimmy lief sofort zu der Frau und drückte seinen Kopf in deren Rock.
    »Mami, die Frau soll weggehen.«
    »Da hören Sie es.« Triumphierend sah sie Susan an. »Verschwinden Sie, und lassen Sie sich hier nie wieder blicken.«
    »Nicht ohne meinen Sohn!« Zornig ballte Susan die Hände zu Fäusten und trat entschlossen einen Schritt nach vorn. »Ich bin seine Mutter und werde ihn mitnehmen.«
    »Was isn’ hier los?«
    Obwohl Susan ihren Mann seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte, erkannte sie ihn sofort, denn er hatte sich nicht verändert. An der Frau vorbei, mit der er offenbar zusammenlebte, schob er sich in die Wohnung und blieb so dicht vor Susan stehen, dass sie ihm direkt in die Augen blicken musste. Susan schluckte trocken. Pauls dunkelbraune Augen hatten sie bei ihrer ersten Begegnung fasziniert, wenngleich er sonst im landläufigen Sinn nicht gerade attraktiv war. Paul war nur wenig größer als sie selbst, seine Statur gedrungen und kräftig, und sein schwarzes Haar war bereits in jungen Jahren schütter.
    »Hallo, Paul«, war das Einzige, was Susan einfiel.
    Seine Lippen verzogen sich zu einem ungläubigen Lächeln.
    »Susan! Ich glaub‘s ja nicht. Dachte, du bist tot.«
    »Sieht nicht so aus.« Susan hatte sich wieder in der Gewalt. Da war kein Gefühl, wenn sie ihn anschaute. Nein, mit diesem Mann verband sie nichts mehr, nichts, außer Jimmy. »Ich bin gekommen, um Jimmy zu holen«, sagte sie fest.
    Er grinste, und Susan bemerkte, dass ihm ein Schneidezahn fehlte. Wahrscheinlich war er im Gefängnis in eine Schlägerei geraten.
    »Wie kommst du denn auf die Schnapsidee, dass du Jimmy bekommst?«
    »Jimmy ist ebenso mein Sohn, und er gehört zu seiner Mutter.«
    »Einer Mutter, die die Fliege gemacht und ihn alleingelassen hat«, warf die Frau gehässig ein, Paul schob sie jedoch zur Seite.
    »Halt den Mund, Rose, und bring den Jungen raus. Ich kläre das mit meiner
Frau
.« So wie Paul das letzte Wort betonte, kam es einer Beschimpfung gleich.
    Rose verzog unwillig die Lippen, nahm Jimmy, der sich immer noch an ihren Rock schmiegte, an der Hand und verließ die Wohnung. Hilflos sah Susan ihr nach und ballte vor Wut die Hände zu Fäusten.
    »Ich hatte meine Gründe, einige Zeit … zu verreisen«, sagte sie und bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Jetzt jedoch bin ich wieder in London und habe zudem die finanziellen Mittel, Jimmy ein anständiges Leben zu ermöglichen.«
    Abschätzend glitt Pauls Blick über Susans Kleid, dann pfiff er zwar anerkennend durch die Zähne, seine Stimme war jedoch kalt, als er sagte: »Ich sehe, du bist was Besseres geworden. Hast wahrscheinlich einen Freund, der dich aushält? Würde mich nicht wundern. Kaum war ich im Knast, haste dich dem nächsten Kerl an den Hals geworfen. Offenbar bezahlt er dich für deine Dienste gut.«
    »Ach, das sagst gerade du?« Zornig stemmte Susan die Hände in die Hüften. »Was ist mit dieser Frau? Rose heißt sie, nicht wahr? Du hast keine Zeit verloren, dich anderweitig zu orientieren.«
    »Anderweitig zu orientieren …« Paul lachte laut. »Seit wann redest du denn so fein? Bist wohl in höhere Kreise aufgestiegen, was?« Er

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