Das Lied der Luege
einem ungewissen Schicksal überlassen.«
»Jimmy war bei einer Freundin in guten Händen«, warf Susan ein, aber Mr. Chatham unterbrach sie mit einer Handbewegung.
»Das ändert nichts an den Tatsachen. Die Rechtsprechung nennt so etwas mutwilliges Verlassen und urteilt ganz besonders streng, wenn Kinder im Spiel sind. Kein Gericht in diesem Land wird Ihnen das Sorgerecht für Ihren Sohn zusprechen. Sein leiblicher Vater kümmert sich um den Jungen – gleichgültig, in welchen Verhältnissen das Kind lebt.«
»Aber ich bin die Mutter!« Susan wurde zunehmend verzweifelter. »Es gab Gründe … gute Gründe, warum ich London verlassen musste. Von Anfang an war mir jedoch klar, dass ich zurückkehren werde, um Jimmy wieder zu mir zu holen.«
Adam Chatham runzelte nachdenklich die Stirn und fragte: »Welche Gründe haben Sie zu einem solch drastischen Schritt veranlasst?«
»Ich war … krank.« Blitzschnell arbeiteten Susans Gedanken. »Ich musste mich aufs Land begeben, um wieder zu genesen. Jetzt bin ich wieder völlig gesund und in der Lage, mich um meinen Sohn zu kümmern.«
»Aha.« Chatham tauschte mit Hornsby einen Blick. »Das könnte eine Möglichkeit sein, nur eine kleine Chance, zugegeben, aber immerhin eine Chance. Wenn Sie ein ärztliches Attest des behandelnden Arztes vorlegen, in dem dieser bestätigt, dass Ihnen keine andere Wahl geblieben war, London und Ihr Kind zu verlassen, um Ihr eigenes Leben nicht zu gefährden, dann könnte das einen Richter vielleicht milder stimmen.«
»Und ich bekomme das Sorgerecht?«, rief Susan aufgeregt. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie sie an ein solches Attest kommen konnte, aber es würde sich arrangieren lassen, wenn es sein musste.
»Nein, Mrs. Hexton, da muss ich Sie enttäuschen. Wir können jedoch versuchen, ein Urteil dahingehend zu bewirken, dass Sie Ihren Sohn hin und wieder sehen können.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Susan starrte den Anwalt entsetzt an. »Doch nicht etwa, dass Paul nicht nur Jimmy bei sich behält, sondern mir auch noch verbieten kann, mein Kind zu sehen? Das glaube ich nicht!«
»So leid es mir tut, Mrs. Hexton, aber so ist die gültige Rechtslage. Verlässt eine Mutter ihr Kind, so urteilen die Richter dahingehend, dass dieser Mutter verboten wird, sich ihrem Kind auch nur zu nähern. In der Regel gilt das, bis das Kind einundzwanzig Jahre und damit mündig ist. Danach kann Ihr Sohn selbst entscheiden, ob er den Kontakt zu Ihnen suchen möchte oder nicht.«
»Aber Jimmy hat mich jetzt schon nicht mehr erkannt.« Verzweifelt rang Susan die Hände. »Er hält diese Rose … die Frau, die jetzt mit meinem Mann zusammenlebt, für seine Mutter.«
Adam Chatham wiegte bedenklich den Kopf. In seiner Stimme lag ein Hauch von Mitleid, als er sagte: »Das erschwert die Sache zusätzlich. Ihr Sohn erkennt Sie nicht mehr und fühlt sich bei der anderen Frau wohl. Der Junge hat, nachdem Sie ihn verließen, genügend durchgemacht und scheint jetzt zur Ruhe gekommen zu sein. Man sollte ihm nicht einen erneuten Wechsel der Bezugspersonen zumuten.«
Wütend sprang Susan auf. »Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?
Ich
bin Ihre Mandantin, und ich werde Sie für Ihre Arbeit gut bezahlen. Liegt es etwa am Geld? Nun gut, ich erhöhe Ihr Honorar, wenn Sie mir nur meinen Jungen zurückgeben.« Sie konnte nicht mehr ruhig bleiben und schrie den freundlichen Anwalt regelrecht an.
Mr. Chatham hatte sich ebenfalls erhoben und versuchte, Susan zu beruhigen.
»Es tut mir wirklich sehr leid, Mrs. Hexton«, wiederholte er. »Kein Geld der Welt kann etwas an den geltenden Gesetzen ändern. Sollten Sie mit dem Gedanken spielen, einen Richter bestechen zu wollen, dann verlassen Sie bitte auf der Stelle meine Kanzlei. Mit solch kriminellen Machenschaften möchte ich nichts zu tun haben.«
»Dann suche ich mir einen anderen Anwalt!« Susans Stimme überschlug sich beinahe. »Einen, der kompetent ist und eine Frau in einer verzweifelten Lage nicht im Stich lässt. Schließlich geht es hier um mein Kind.«
Das Gesicht des Anwalts verschloss sich. »Es steht Ihnen frei, Kollegen zu Rate zu ziehen, diese werden Ihnen jedoch keine andere Auskunft geben. Ich rate Ihnen – stimmen Sie der Scheidung von Ihrem Mann zu, ohne ihm Schwierigkeiten zu machen, dann ist er vielleicht bereit, Sie hin und wieder zu Ihrem Sohn zu lassen.«
»Niemals gebe ich Jimmy auf«, rief Susan laut. »Ein Kind gehört zu seiner Mutter, und dafür werde ich kämpfen.
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