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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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regnerisch war. Nachdem sich der junge Mann zurückgezogen hatte, setzte sich Mrs. Oxcombe ungefragt zu Susan.
    »Ein netter Mensch, dieser Mr. Hornsby, nicht wahr?« Susan antwortete nur mit einem unverbindlichen Lächeln, was die Wirtin jedoch nicht davon abhielt, sich über den Gast auszulassen. »Hornsby wohnt schon drei Monate bei mir«, fuhr sie mit gesenkter Stimme fort. »Es wäre wohl günstiger, wenn er sich eine eigene Wohnung suchen würde, aber wahrscheinlich fühlt er sich hier wohler, wo er nicht allein ist. Er kennt offenbar niemanden in der Stadt und lebt nur für seine Arbeit.«
    »Was macht Mr. Hornsby beruflich?« Susan fragte mehr aus Höflichkeit als aus Interesse.
    »Er ist Gehilfe bei einem Anwalt zwei Straßen weiter. Muss eine eintönige Arbeit sein, den ganzen Tag nur in verstaubten Akten zu blättern und Schriftstücke anzufertigen.«
    »Anwalt?« Plötzlich war Susans Interesse geweckt. Vielleicht konnte ein Anwalt herausfinden, wo Paul sich aufhielt. Sie stand auf. »Sie entschuldigen mich, Mrs. Oxcombe. Ich bin von der Reise erschöpft und möchte früh zu Bett gehen.«
    Ohne die Wirtin weiter zu beachten, verließ sie den Raum und ging in ihr Zimmer. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Am liebsten hätte sie Ernest Hornsby sofort aufgesucht, aber sie konnte ja schlecht an seiner Tür klopfen. Mrs. Oxcombe hätte es sicher missbilligt, wenn eine Frau einen alleinstehenden Mann in dessen Zimmer aufgesucht hätte, noch dazu in den Abendstunden. Also musste sie bis zum nächsten Morgen warten.
    Bereits um acht Uhr ging Susan hinunter. Vielleicht war dieser Hornsby ein Frühaufsteher, und sie wollte ihn auf keinen Fall verpassen. Erleichtert atmete sie auf, als er nur wenige Minuten nach ihr den Frühstücksraum betrat.
    »Guten Morgen, Mr. Hornsby«, rief sie und lächelte. »Möchten Sie sich wieder zu mir setzen?«
    Die Wangen des Mannes färbten sich rot, und er stotterte eine Zustimmung. Seine Bewegungen waren linkisch und fahrig, als er sich Tee einschenkte und den Toast mit Butter bestrich.
    »Mrs. Oxcombe erwähnte, Sie wären Anwalt?«, begann Susan das Gespräch.
    »Anwalt? Nein … das heißt, noch nicht …« Er sah Susan an und errötete erneut. »Das heißt, ich möchte mal einer werden … vielleicht …«
    »Aber Sie kennen sich bestimmt mit Recht und Gesetz aus, nicht wahr?« Susan beschloss, gleich zur Sache zu kommen. »Ich suche hier in London eine Person, habe jedoch keinen Anhaltspunkt, wo diese sich aufhalten könnte.«
    »Oh, da kann ein Anwalt nicht viel tun, Mrs. Hexton.« Er zuckte bedauernd mit den Schultern. »Sie müssten sich eher an einen Privatdetektiv wenden, aber das ist sehr teuer.«
    Geld spielt keine Rolle, dachte Susan, wenn ich nur meinen Sohn wiederfinde.
    »Können Sie mir vielleicht einen solchen Detektiv empfehlen?«, fragte sie direkt. »Es ist wirklich sehr dringend.«
    Ernest Hornsby zögerte erst, dann nickte er langsam. »Mein Vorgesetzter arbeitet manchmal mit einem Detektiv zusammen. Er übernimmt aber nur Fälle, die legal sind und sich nicht am Rande der Kriminalität bewegen.«
    »Das ist selbstverständlich«, antwortete Susan rasch. Sie lächelte Hornsby unter gesenkten Lidern so charmant an, dass er erneut errötete. »Wie ich sagte, die Angelegenheit ist dringend. Wenn Sie mir helfen können, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
    »Begleiten Sie mich doch in die Kanzlei, wenn es Ihre Zeit erlaubt«, schlug Hornsby vor. »Dort kann ich Ihnen die Adresse geben.«
     
    Bereits am Nachmittag war Susan von einer großen Last befreit. Sie hatte die Adresse des Privatermittlers erhalten und dessen Büro unverzüglich aufgesucht. Der Detektiv, ein seriös wirkender Herr mit grauen Schläfen, verlangte zwar für seine Nachforschungen zehn Pfund pro Tag, hatte Susan jedoch Hoffnungen auf Erfolg machen können.
    »Da Sie sagen, Miss Hexton, dass der Gesuchte im letzten Herbst aus dem Gefängnis entlassen wurde, so stehen unsere Chancen sehr gut, seinen Aufenthaltsort festzustellen. In der Regel müssen sich nämlich vorzeitig Entlassene ein Mal im Monat bei der Polizei melden, folglich ist ihr Aufenthaltsort registriert.«
    Susan war dem Detektiv dankbar, dass er so tat, als würde er ihre Geschichte, warum sie Paul suchte, glauben, obwohl diese recht seltsam klang. Sie hatte ihm, ebenso Hornsby und seinem Vorgesetzten, erzählt, dass Paul ihr Bruder war, um den sie sich große Sorgen machte, da er sich seit seiner

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