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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Er neigte seinen Kopf, und seine Lippen berührten fast die ihren. »Einen Kuss habe ich mir doch verdient …«
    Susan ließ es zu, dass er sie küsste. Seine Lippen waren weich und warm, und sein Atem schmeckte nach Rauch und Champagner. Nach einiger Zeit erwiderte sie seinen Kuss und ließ sich in seine Umarmung fallen. Es war so furchtbar lange her, dass ein Mann sie liebkost hatte. Stephen war ein Frauenkenner, das bewies sein Kuss, der zärtlich sanft und zugleich fordernd war. Als Stephens Hand nun jedoch über ihren Körper wanderte und ihre rechte Brust umschloss, machte Susan sich mit einem Ruck von ihm frei.
    »Das reicht, Stephen.«
    »Ach, Susan, du willst es doch ebenso wie ich. Das habe ich gerade ganz deutlich gespürt. Dein Körper schreit regelrecht danach, wieder geliebt zu werden.«
    Es war Susan peinlich, dass er ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit so deutlich bemerkt hatte.
    »Wie stellst du dir das vor?« Sie schaute sich um. »Etwa hier mitten auf der Straße in einem Automobil?«
    »Wir können in mein Haus fahren«, schmeichelte Stephen und spielte mit einer Haarsträhne, die sich während des Kusses aus ihrer Frisur gelöst hatte. »Mein Personal ist verschwiegen.«
    »Das müssen sie bei deinem Lebenswandel wohl auch sein«, erwiderte Susan. »Bitte, lass mich jetzt gehen. Mrs. Oxcombe wird ohnehin ihren Stab über mich brechen.«
    »Na und? Es sollte dir gleichgültig sein, was andere Menschen über dich denken. Sieh Sarah Bernhardt an. Die Frau hat stets so gelebt, wie es ihr beliebte, und die ganze Welt bewundert sie.«
    Susan lachte leise. »Ich habe weder den Erfolg noch die finanziellen Mittel, ein solches Leben, bei dem man auf andere nicht angewiesen ist, zu führen.«
    Susan machte sich nun endgültig aus seiner Umarmung frei und stieg ohne seine Hilfe aus dem Wagen. »Ich danke dir für diesen Abend, wenn du jedoch hoffst, es könnte mehr daraus werden, so muss ich dich leider enttäuschen.«
    »Warte, Susan, du weißt, dass ich dich sehr attraktiv finde. Wir verstehen uns doch auch gut, ich glaube, wir könnten eine Menge Spaß zusammen haben.«
    Susan sah ihn ernst an.
    »Für diese Art von Spaß bin ich nicht zu haben, Stephen Polkinghorn. Ich gebe zu, ich mag es, in deinem Automobil zu fahren, und du bist ein angenehmer Gesellschafter. Es tut mir jedoch leid, wenn ich einen anderen Eindruck erweckt habe.«
    »Ach, jetzt spiel nicht das Blümchen Rührmichnichtan.« Stephens Ton wurde schärfer. »Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich dir nicht glaube, dass du Witwe bist. Dein Kind war von irgendeinem Kerl, der dich verlassen hat, darum bist du nach Cornwall gekommen, um es dort zur Welt zu bringen.«
    Susan merkte, wie sie zornig wurde. Da sie jedoch befürchtete, Mrs. Oxcombe lausche hinter der Tür, beherrschte sie ihre Stimme, als sie sagte: »Glaub, was du willst, mir ist deine Meinung über mich zu unwichtig, als dass ich mir darüber den Kopf zerbreche. Gute Nacht, Stephen.«
    Bevor Stephen etwas erwidern konnte, lief Susan eilig zum Haus, schloss die Tür auf und verriegelte sie rasch wieder hinter sich. Im Flur war alles dunkel, dennoch meinte sie, ein leises Atmen hinter der Tür zum Speisezimmer zu hören. Als ob sie ein kleines Teufelchen ritt, rief sie laut: »Gute Nacht, Mrs. Oxcombe, ich hoffe, ich habe Sie nicht aufgeweckt.«
    Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Sie bedauerte, Stephen Polkinghorn nun wohl niemals wiederzusehen, denn er hatte ein wenig Abwechslung in ihren tristen Alltag gebracht. Schon in Cornwall und auch jetzt in London wusste sie nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte. Susan dachte an seinen Ruf und war überzeugt, dass all die Gerüchte, die über Stephen im Umlauf waren, stimmten. Nun, es war sein Leben, aber sie war nicht bereit, sich in die lange Reihe seiner Liebschaften einzureihen. Sie mochte zwar aus der Unterschicht stammen, war jedoch bestrebt, sich ein besseres Leben aufzubauen. Dazu gehörte auch ein untadliger Ruf, denn nur so hätte sie eine Chance, eines Tages vielleicht ihren Sohn zurückzubekommen.
     
    Am nächsten Morgen erwachte Susan sehr früh nach einer unruhig verbrachten Nacht. Rasch wusch sie sich, zog sich an und ging dann hinunter. Sie hoffte, Mrs. Oxcombe würde über den gestrigen Abend kein Wort verlieren, dennoch wappnete sie sich innerlich gegen einen eventuellen Angriff, dass sie erst mitten in der Nacht in männlicher Begleitung nach Hause gekommen

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