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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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einigen Jahren den Herzog von Reichstadt spielte, verliebte sich ein junges Mädchen so sehr in sie, dass sie jeden Abend mit Rosen am Bühneneingang stand und schwor, niemand anderen als den Herzog heiraten zu wollen. Es kostete Madame Sarah große Mühe, das Mädchen zu überzeugen, dass sie, eine Frau, in dem Kostüm steckte und nicht ein junger, schnittiger Mann. Das Mädchen soll untröstlich gewesen sein.«
    Interessiert hatte Susan zugehört. Je mehr sie über Sarah Bernhardt erfuhr, desto mehr interessierte die Schauspielerin sie.
    »Ich würde die nächste Vorstellung gerne sehen«, sagte sie, lächelte dann jedoch bedauernd. »Allerdings scheinen alle Vorstellungen ausverkauft zu sein, so weiß ich nicht, ob ich noch eine Karte bekomme.«
    »Melden Sie sich am Bühneneingang, und fragen Sie nach Christine. Das bin ich. Madame Sarah würde sich freuen, wenn Sie ihr nach der Vorstellung Ihre Aufwartung machen.«
    Susan fühlte sich sehr geschmeichelt und stimmte begeistert zu. Christine drückte kurz ihre Hand, sah sich um, blickte zu Stephen und flüsterte: »Kommen Sie bitte ohne Ihren Begleiter, wenn es möglich ist.«
    »Ja, ja, sicher …« Susan war verwirrt. Sie sah zu Sarah Bernhardt hinüber, die sich gerade aus einer reichhaltig gefüllten Obstschale bediente. Sie hatte allen Grund, sich zu wundern. Die Schauspielerin hatte sie nur wenige Minuten gesehen, ein Gespräch war wegen der Sprachprobleme nicht möglich gewesen, und doch wurde sie exklusiv zu einer Vorstellung eingeladen, zudem allein. So gern Susan Madame Sarah noch einmal auf der Bühne erleben wollte – sie zweifelte, ob sie hingehen sollte. Was sollte sie Stephen sagen? Er hatte sie schließlich in diesen Kreis eingeführt und sie vorgestellt, obwohl sie aus einfachsten Verhältnissen stammte. Konnte sie ihn jetzt einfach außen vor lassen und ihm nichts von der Einladung erzählen?
    Susan war froh, als Stephen wenige Minuten später vorschlug, zu gehen. Obwohl es kurz nach Mitternacht war, herrschte auf den Straßen immer noch viel Verkehr. Je weiter sie in die Gegend, in der Susan wohnte, kamen, desto weniger Menschen waren unterwegs. Vor dem Haus der Witwe Oxcombe waren sie ganz allein. Stephen hielt unter einer Straßenlampe und stellte den Motor ab, doch das Geräusch des Automobils musste Mrs. Oxcombe bereits gehört haben, denn die Gardine am Fenster bewegte sich.
    »Wir werden beobachtet.« Susan kicherte. »Meinem Ruf tut es nicht unbedingt gut, mitten in der Nacht in männlicher Begleitung nach Hause zu kommen.«
    Stephen stimmte in ihr Lachen ein. Leicht legte er einen Arm um Susans Schultern und zog sie ein Stück näher. Susan ließ ihn gewähren, seine Nähe war ihr angenehm. Sie hatte ihm nichts von Sarah Bernhardts Einladung gesagt, sich inzwischen jedoch entschlossen, hinzugehen. Männer mussten ja nicht alles wissen.
    »Es war ein schöner Abend«, sagte Stephen leise.
    »Das finde ich auch. Madame Sarah ist wirklich eine herausragende Schauspielerin. Kein Wunder, dass Sie sie derart verehren.«
    Im schwachen Schein der Laternen konnte Susan Stephens Gesicht nur undeutlich erkennen, sie merkte jedoch, wie sich der Druck seines Armes verstärkte.
    »Während des Abends habe ich kaum auf die Bühne gesehen.« Seine Stimme war leise und schmeichelnd. »Ich habe immer nur dich angesehen, Susan. Du warst die Schönste im ganzen Saal.«
    Susan schluckte und war um eine Antwort verlegen.
    »Das hast du nett gesagt, Stephen«, sagte sie schließlich und ging ebenfalls zum vertraulichen Du über.
    Er zog sie noch näher an sich heran, Susan war jetzt nur noch wenige Zentimeter von seiner Brust entfernt.
    »Glaubst du, deine Wirtin ist noch wach?«, fragte er leise, und Susan konnte die heisere Erregung in seiner Stimme hören.
    »Sie steht hinter der Gardine«, erwiderte Susan und versuchte, von ihm abzurücken, aber Stephen hielt sie fest. Plötzlich war ihr seine Nähe unangenehm. Zwar mochte sie Stephen als charmanten und unterhaltsamen Begleiter, zu mehr war sie jedoch nicht bereit. Vor allen Dingen wollte sie ihren Ruf als Frau, die erst im letzten Herbst ihren Mann verloren hatte, nicht aufs Spiel setzen.
    »Dann kann ich nicht mit hineinkommen? Ich verspreche, auch ganz leise zu sein.«
    »Nein, Stephen, auf keinen Fall! Auch wenn Mrs. Oxcombe wie ein Stein schlafen und nicht mitbekommen würde, wenn wir das Haus betreten, muss ich dich jetzt bitten zu gehen.«
    »Ach, Susan, warum bist du bloß so zurückhaltend?«

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