Das Lied der Maori
in ein jungenhaftes Gesicht, in dessen Wangen Grübchen erschienen, wenn er den Mund verzog. Und er war frisch rasiert! Auch das war ungewöhnlich. Die meisten Goldgräber griffen höchstens am Wochenende zum Rasiermesser, wenn bei Daphne Tanz war.
Elaine beschloss, den Neuankömmling ein bisschen zu necken und damit vielleicht aus der Reserve zu locken. »Sie riechen zumindest nicht so streng wie die meisten.«
William lächelte. »Bislang bietet der See ja auch kostenlose Bademöglichkeit. Aber nicht mehr lange, hat man mir gesagt, und es wird kalt. Außerdem scheint das Gold Körpergeruch zu mögen. Wer am seltensten badet, holt die meisten Nuggets aus dem Fluss.«
Elaine musste lachen. »Daran sollten Sie sich aber kein Beispiel nehmen, sonst gibt’s Ärger mit Grandma. Hier, wenn Sie das ausfüllen würden ...« Sie schob ihm ein Anmeldeformular zu und versuchte, nicht allzu neugierig über den Tresen zu linsen. Möglichst unauffällig las sie mit, während William schwungvoll seine Eintragungen machte. Auch das war ungewöhnlich; die wenigsten Goldgräber schrieben so flüssig.
William Martyn ... Elaines Herz schlug höher, als sie seinen Namen las. Ein schöner Name.
»Was soll ich denn hier eintragen?«, fragte William und wies auf das Feld, das nach seiner Heimatadresse fragte. »Ich bin gerade erst angekommen. Das ist meine erste Adresse in Neuseeland.«
Elaine konnte ihr Interesse jetzt nicht mehr verbergen. »Wirklich? Wo kommen Sie denn her? Nein, lassen Sie mich raten. Das tut meine Mutter bei neuen Kunden auch immer. Man hört es am Akzent, woher jemand kommt ...«
Bei den meisten Einwanderern war es einfach. Natürlich irrte man sich hin und wieder. Für Elaine beispielsweise klangen Schweden, Niederländer und Deutsche fast gleich. Aber Iren und Schotten konnte sie meist ohne Schwierigkeiten auseinanderhalten, und Leute aus London waren besonders leicht zu erkennen. Experten konnten sogar den Stadtteil benennen, aus dem jemand kam. William allerdings war schwer einzuschätzen. Er klang wie ein Engländer, doch irgendwie sprach er weicher, dehnte die Vokale ein bisschen mehr.
»Sie sind aus Wales«, riet Elaine auf gut Glück. Ihre Großmutter mütterlicherseits, Gwyneira McKenzie-Warden, war Waliserin, und Williams Aussprache erinnerte ein bisschen an sie. Allerdings sprach Gwyneira keinen ausgeprägten Dialekt. Sie war die Tochter eines Landadeligen, und ihre Erzieherinnen hatten stets Wert auf akzentfreies Englisch gelegt.
William schüttelte den Kopf, doch ohne dabei zu lächeln, wie Elaine gehofft hatte. »Wie kommen Sie denn darauf?«, meinte er. »Ich bin Ire aus dem County Connemara.«
Elaine wurde rot. Darauf wäre sie nie gekommen, obwohl es viele Iren auf den Goldfeldern gab. Die aber sprachen meist einen ziemlich plumpen Dialekt, während William sich eher gewählt ausdrückte.
Wie um seine Herkunft zu unterstreichen, setzte er jetzt seine letzte Adresse mit großen Buchstaben in das Kästchen: Martyn’s Manor, Connemara.
Das klang nicht nach dem Hof eines Kleinbauern, das klang nach einem Landgut ...
»Dann zeige ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer«, sagte Elaine. Eigentlich sollte sie die Gäste nicht selbst hinaufbegleiten, erst recht keine männlichen. Grandma Helen hatte ihr eingeschärft, für diese Aufgabe stets den Hausdiener oder eins der Mädchen zu rufen. Aber bei diesem Mann machte Elaine gern eine Ausnahme. Sie kam hinter der Rezeption hervor und hielt sich dabei so gerade, wie ihre Großmutter es ihr als »damenhaft«, beigebracht hatte: den Kopf mit natürlicher Anmut erhoben, die Schultern zurück. Und bloß nicht in den aufreizenden, wiegenden Gang verfallen, den Daphnes Mädchen so gern zur Schau trugen!
Elaine hoffte, dass ihr gerade erst halbwegs zur Reife gelangter Busen und ihre seit neuestem geschnürte, sehr schmale Taille zur Geltung kamen. Eigentlich hasste sie es, sich zu schnüren. Aber wenn dieser Mann dadurch auf sie aufmerksam wurde ...
William folgte ihr und war froh, dass sie ihn dabei nicht im Blick hatte. Konnte er sich doch kaum bezähmen, ihre zierliche, an den richtigen Stellen aber schon sanft gerundete Figur lüstern anzustarren. Die Zeit im Gefängnis, dann acht Wochen Überfahrt und jetzt der Ritt von Dunedin zu den Goldfeldern bei Queenstown ... insgesamt war er seit fast vier Monaten keiner Frau mehr auch nur nahegekommen.
Eigentlich undenkbar lange. Es wurde Zeit, hier Abhilfe zu schaffen! Die Jungs im Goldgräberlager hatten
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