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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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schier. Am liebsten hätte sie sich wieder in ihr Bett zurückgezogen. Wie sollte sie die nächsten Stunden nur überstehen? Doch über den Mann, der ihnen vor dem Gerichtsgebäude entgegenkam, freute sie sich.  
    »Dr. Wentworth!«  
    »Mrs McIntyre, Dr. McIntyre.« Der große Mann neigte den Kopf. Er war blass und von Trauer um Catherine gezeichnet. Um den linken Ärmel seines grauen Rocks trug er eine schwarze, handbreite Seidenbinde. Gestern hatte McIntyre Moira über Catherines Tod in Kenntnis gesetzt, nicht ahnend, dass sie bereits davon wusste. Er war sogar bei der Beerdigung gewesen.  
    Moira murmelte eine Beileidsbekundung, schließlich musste McIntyre nicht erfahren, dass sie Wentworth am Tag von Catherines Tod gesehen hatte.  
    Wentworth dankte leise. »Ja, es war ein schwerer Schlag. Catherine … sie hat Euch immer als Freundin betrachtet.« Er sah Moira an. Forschend, besorgt. »Geht es Euch gut, Mrs McIntyre? Nach all diesen … schrecklichen Sachen?«  
    Moira begriff, dass er Bescheid wusste. Und dass auch er schweigen würde, um sie zu schützen.  
    »Aber ja doch«, sagte McIntyre, bevor sie antworten konnte. »Wollen wir hineingehen?«  
    Wentworth nickte und hielt Moira zurück, als sie ihrem Mann folgen wollte.  
    »Wenn ich irgendetwas für Euch tun kann, Mrs McIntyre«, sagte er mit gesenkter Stimme, »dann lasst es mich wissen.«  
    »Danke.« Moira lächelte und kam sich nicht mehr ganz so einsam vor. Wenigstens ein Freund war ihr geblieben.  
    Der Gerichtsraum war bereits zur Hälfte gefüllt. Moira und McIntyre nahmen auf Stühlen in der ersten Reihe Platz, während Wentworth sich auf eine der Bänke im Hintergrund setzte. Ein einfacher, langer Tisch diente als Richterpult. Moira seufzte innerlich auf, als sie sich umdrehte und zwischen den Zuschauern die aufgeputzte, rundliche Gestalt von Mrs Zuckerman erblickte, die ihr jetzt hoheitsvoll zuwinkte. Natürlich war das nicht anders zu erwarten gewesen, da es ihr Gemahl, Mr Zuckerman, war, der bei dieser Verhandlung als Laienrichter fungieren würde.  
    Moiras Kopf wurde allmählich klarer, dafür packte sie erneuter Schwindel; das Laudanum schien allmählich seine Wirkung zu verlieren. Ein Raunen ging durch den Raum, als sich eine seitliche Tür öffnete. Moira blickte auf und stieß ein fast lautloses Keuchen aus, ihr Herz begann in heftigen Stößen zu schlagen. Zwei Wärter kamen herein, zwischen sich führten sie Duncan. Er trug noch immer die verdreckte und zerrissene Kleidung, in der er aus Toongabbie geflohen war, und man hatte ihm schwere Ketten an Händen und Füßen verpasst, die bei jedem Schritt rasselten. Er hatte sich waschen und rasieren dürfen, aber sie hatten ihm übel zugesetzt. Sein linkes Auge war zugeschwollen, und auch seine Unterarme zeigten Spuren von Schlägen.  
    Tränen schossen ihr in die Augen, ein dicker Kloß saß in ihrer Kehle. Was hatten sie ihm nur angetan? Sie wollte aufspringen, zu ihm laufen, ihn anfassen, ihn umarmen … Aber bevor sie auch nur eine Bewegung machen konnte, schloss sich McIntyres Hand fest um ihren Oberarm.  
    »Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe!«, flüsterte er.  
    Sie nickte wortlos. Mit hämmerndem Puls, aber unbewegtem Gesicht sah sie zu, wie man Duncan nach vorne führte.  
    »Hängt ihn auf!«  
    »Verbrecher!«  
    »Irischer Bastard!«, tönte es aus den Zuschauerreihen. Moira erkannte Mrs Zuckermans Stimme. Und obwohl alles in ihr danach schrie, sich umzudrehen und der dicken Frau die Meinung zu sagen, blieb sie stumm sitzen und rührte sich nicht, sah nur Duncan an.  
    Als man ihn zur Anklagebank führte, sah er sich suchend um. Ihre Blicke trafen sich, und nur ein winziges Zucken seiner Augen zeigte, dass er sie gesehen hatte. Nicht mehr.  
    Der Friedensrichter trat ein, gefolgt von zwei Beisitzern. War es nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass Mr Zuckerman heute den Vorsitz innehatte? Wenn Moira sich den verkniffenen Mund ansah, wohl eher ein schlechtes. Um die Würde seines Amtes zu unterstreichen, trug Mr Zuckerman eine schlecht sitzende graue Perücke mit seitlich eingedrehten Locken. In einer weniger ernsten Situation hätte Moira sich sicherlich über sein Bemühen amüsiert, die Würde seines Amtes solcherart zu unterstreichen. So aber war ihr ganz und gar nicht zum Lachen zumute.  
    Sie starrte ihn an, während er die Liste der Anwesenden verlas. Anschließend wandte er sich direkt an sie und bat sie, den Raum bis zu ihrer Aussage

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