Das Lied der roten Erde (German Edition)
wieder zu verlassen.
Moira erhob sich langsam und bemühte sich, auf dem kurzen Weg bis zum Ausgang keine Schwäche zu zeigen. Sie wollte Duncan in dieser Situation nicht alleinlassen, aber als Zeugin durfte sie nicht bleiben. Anders als Moira war es McIntyre als Nebenkläger erlaubt, während der gesamten Verhandlung anwesend zu sein. Wenn er nur sein Wort hielt und Duncan nicht auch noch des Diebstahls bezichtigte!
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, sank sie auf einen Stuhl im Vorraum und schloss die Augen. Schon die kurze Fahrt von Toongabbie nach Parramatta hatte sie erschöpft, und jetzt fühlte sie sich so matt, als hätte sie stundenlang schwer gearbeitet. Ihr Finger fuhr zum Mund, aber der Nagel war bereits so abgebissen, dass nichts mehr da war, auf dem sie hätte herumkauen können.
In den vergangenen Tagen hatte sie versucht, ihren Mann von seinem Vorhaben abzubringen. Sie hatte sich sogar zu einer Entschuldigung durchgerungen, auch wenn sich alles in ihr dagegen gesträubt hatte. Sie bereute nichts. Weder den Ehebruch noch die Flucht. Nichts von alldem, was sie mit Duncan verband. Aber für ihn war sie jetzt zu allem bereit.
McIntyre hatte sie nur kalt angesehen. »Er wird seine gerechte Strafe erhalten«, war alles, was er dazu gesagt hatte.
»Mrs McIntyre?« Sie schreckte auf, als sie jemand an der Schulter berührte. Der Gerichtsdiener. »Man hat Euch rufen lassen.«
Alle Blicke richteten sich auf sie, als sie an den Zuschauern vorbei nach vorne ging und sich auf den Stuhl neben dem Richtertisch setzte. Von hier aus konnte sie jeden der Anwesenden sehen. Und jeder konnte sie sehen. Sie senkte die Lider.
Richter Zuckerman legte ein Blatt Papier vor sich. »Erklärt Ihr, dass Ihr Mrs Moira McIntyre seid, geborene Delany, verheiratet mit Dr. Alistair McIntyre, wohnhaft in Toongabbie?«
Sie bejahte.
Zuckerman nickte zufrieden. »Da Euer Gemahl sich für Euch verbürgt, ist eine Vereidigung nicht nötig.«
Sie sah kurz zu McIntyre. Er war sichtlich angespannt und konnte seine Nervosität nur schwer im Zaum halten. Immerhin würde sie so keinen Meineid schwören müssen.
»Kennt Ihr den Angeklagten?«
Ein erneuter Blick, diesmal zur Anklagebank, wo Duncan stand. Er schaute stur vor sich hin und sah sie nicht an. Sie zwang sich, sich wieder dem Friedensrichter zuzuwenden. »Ja – Euer Ehren.«
Sie fand es lächerlich, diesen Mann mit dem Titel eines Richters anzusprechen. Aber es war nun mal die richtige Anrede. Auch für einen Laienrichter. Hier und jetzt verkörperte er das Gesetz.
»Nennt seinen Namen.«
»D… O’Sullivan, Euer Ehren. Einer der Sträflinge. Er … er arbeitet für uns.«
»Seit wann?«
»Seit April.«
Zuckerman nickte, dann holte er ein Papier hervor. »Der Angeklagte wird beschuldigt, von seiner Arbeitsstelle in Toongabbie geflohen zu sein und dabei Euch, Mrs McIntyre, widerrechtlich und in der Absicht, ein Lösegeld zu erpressen, entführt zu haben. Könnt Ihr diese Anschuldigung bestätigen?«
Moira zögerte. Genauso hatte McIntyre es ihr eingebläut. Natürlich hatte sie nach einer anderen Lösung gesucht und wilde Pläne geschmiedet. Sie konnte behaupten, sie selbst habe Duncan gezwungen, mit ihr fortzugehen. Sie konnte eine Pistole in den Gerichtsraum schmuggeln und Duncan befreien, um erneut mit ihm zu flüchten. Sie konnte …
Am Ende hatte sie dann doch alles wieder verworfen. All diese Pläne waren Unfug. Sie war noch sehr geschwächt, und auch für Duncan war das Risiko einfach zu groß. Aber sie konnte auch nicht hier sitzen und ihn einer Sache bezichtigen, die er nicht getan hatte. Und genauso wenig durfte sie die Wahrheit sagen. Ihr blieb nur noch eine einzige Möglichkeit.
»Mrs McIntyre?«
Wieder ging ein Gemurmel durch den Raum. Moira holte tief Luft und wandte sich an Zuckerman. »Was … was hat der Angeklagte dazu gesagt?«
Zuckerman runzelte die Stirn. »Es ist nicht üblich, dass Zeugen den Richter befragen. Aber in Eurem Fall will ich eine Ausnahme machen. Der Angeklagte hat sich geweigert, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Dies wird als Schuldanerkenntnis gewertet.«
Duncan verweigerte die Aussage? Sie warf ihm einen weiteren, raschen Blick zu. Damit würde er zumindest nicht lügen.
Zuckerman sah sie über den Rand seiner Brille so vorwurfsvoll an, als sei sie schuld an dieser Ungehörigkeit. »Früher hätte man eine solche Missachtung des Gerichts
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