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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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wann reist Ihr weiter nach Toongabbie?«  
    »Übermorgen«, erwiderte Moira einsilbig. Sie hatte es ihr schon drei Mal gesagt.  
    »Ihr Ärmste, wenn ich mir das so vorstelle …« In Mrs Zuckermans Augen glitzerte Sensationslust. »Habt Ihr denn keine Angst bei der Vorstellung, Euer Leben als einzige Frau neben diesen verkommenen Subjekten fristen zu müssen?«  
    »Nun, Mrs Zuckerman, zum einen bin ich dort keineswegs die einzige Frau, denn im Ort und auf den umliegenden Farmen leben sicher ein paar Damen. Außerdem haben wir weibliche Bedienstete«, sagte Moira etwas zu scharf. »Und zweitens solltet Ihr nicht vorschnell über diese bedauernswerten Menschen urteilen, die man zu einem Leben an diesem Ort verdammt hat!«  
    Es war heraus, bevor sie sich zurückhalten konnte. Aber Moira musste immer wieder an das Los der Sträflinge denken. Vor wenigen Tagen hatte sie erstmals die harte Hand der britischen Militärregierung miterlebt. Auf der Minerva waren zwei Sträflinge mit je einhundert Peitschenhieben bestraft worden, weil sie mit einem Boot zu fliehen versucht hatten. Moira hatte der Züchtigung zwar nicht beigewohnt, aber sie hatte das Klatschen der neunschwänzigen Peitsche und die Schreie der Verurteilten bis hinunter in ihre Kabine hören können.  
    Ihre Gedanken gingen zu Ann. Zahlmeister Cox hatte sich um das Problem mit Major Penrith gekümmert und dem Offizier eine andere Gefangene überlassen. Jetzt befand sich das Mädchen mit dem Großteil der anderen Sträflinge auf dem Weg nach Toongabbie.  
    Falls sie geglaubt hatte, dass Mrs Zuckerman nach ihrer heftigen Antwort eingeschnappt war, hatte sie sich getäuscht.  
    »Na, na, liebe Mrs McIntyre, aus Euch spricht wohl das sprichwörtliche irische Temperament!«, sagte diese, keineswegs beleidigt, und wiegte ihren Kopf. »Aber wartet nur ab, nach ein paar Wochen in der Einöde werdet Ihr noch an meine Worte denken.« Sie beugte sich vertraulich vor. »Ihr seid neu in diesem Land. Nehmt einen guten Rat an: Ihr dürft den Sträflingen nicht trauen! Keinem von ihnen!«  
    Ein heller Glockenton aus dem Speisezimmer unterbrach sie; man klingelte zum Mitternachtsdinner.  
    »Ah, wie herrlich!« Mrs Zuckerman beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten, und wackelte hinein. »Ich hoffe nur, dass nicht so etwas Scheußliches wie Känguru serviert wird.«  
    *  
    Die Schritte der Männer waren so laut, dass es ihr in den Ohren weh tat. Die Weißen konnten einfach nicht leise gehen. Niemand der Eora hätte so viele Geräusche gemacht, auch nicht mit diesen metallenen Gliedern, die die meisten der Weißen um die Knöchel trugen und die ihnen nur kurze, ruckartige Schritte erlaubten. Bei einigen zeigten sich wundgeriebene Stellen. Andere saßen auf diesen großen Tieren mit den vier dünnen Beinen, die sie Pferde nannten, und riefen Worte in ihrer misstönenden Sprache.  
    Ningali blähte die Nasenflügel und nahm die Witterung der Menschen auf, die den schmalen Waldpfad entlangkamen. Es waren viele, einer hinter dem anderen. Alle waren sie mehr oder weniger bekleidet; die Gefesselten in eintönigen Farben, die auf den Pferden in Weiß und der heiligsten aller Farben – Rot.  
    Inzwischen hatte sie sich an den Anblick dieser seltsamen Menschen gewöhnt, aber noch immer konnte sie nicht verstehen, wieso die eine Gruppe die andere anbrüllte und schlug. Die Ältesten hatten dieses eigentümliche Verhalten damit zu erklären versucht, dass es sich dabei um eine primitive Form der Heilung oder eines Aufnahmeritus handeln musste.  
    Ningali folgte ihnen, seit sie mit dem Boot angelegt hatten, beobachtete sie versteckt im Schatten der Bäume und des dichten Buschwerks. Neben ihr stieß der Dingo ein leises Knurren aus. Sie legte ihm die Hand auf den pelzigen Nacken, und sofort verstummte das Tier. Mehr brauchte es nicht; er gehorchte ihr auch ohne Worte. Sie hatte ihn aufgezogen, nachdem sie ihn als Welpen gefangen hatte. Seitdem wärmte er nachts ihr Lager und war ihr am Tag ein Gefährte.  
    Ningali kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich. Manchmal konnte sie so die Schattenkörper sehen, auch wenn die Großmutter sagte, sie sei noch zu jung dafür. Erst wenn sie zum ersten Mal geblutet hätte, würde sie das Handwerk der Schamanen lernen.  
    Für einen kurzen Moment sah sie es tatsächlich. Nahm schimmernde, farbige Umrisse um die verschwitzten Körper wahr, beim einen rötlich trüb wie Wolken bei Tagesanbruch, beim anderen dunkel wie

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