Das Lied der roten Erde (German Edition)
bestückt waren. Moira hatte versucht, die kahlen Räume mit den wenigen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, etwas wohnlicher zu gestalten; auf dem Frühstückstisch und auf der Kommode in der Schlafkammer standen farbenprächtige Blumen, und die Wand zierte ein Bild von König George III.
Sie blickte zu ihrem Mann, der in seine Papiere vertieft war, und entdeckte etwas Rührei an seinem Backenbart. Er schien es nicht zu bemerken. Moira schüttelte sich innerlich, und die Vorstellung, heute Nacht wieder unter diesem alten Bock liegen zu müssen, erfüllte sie aufs Neue mit Ekel. Wenigstens hatte die Häufigkeit seines Beischlafs etwas nachgelassen. Er verlangte jetzt nur noch zweimal in der Woche nach ihr, das aber regelmäßig jeden Mittwoch und Samstag.
Ein lautes Klirren riss sie aus ihren Gedanken; Ann hatte einen Teller fallen lassen.
»Da … da ist etwas!« Ann deutete schreckensbleich auf die Wand, wo sich ein münzgroßer Schatten mit mehreren Beinen rasch bewegte.
McIntyre fuhr mit einem zischenden Laut auf.
»Das ist nur ein Käfer!« Moira erledigte das Tier durch einen gezielten Schlag mit dem Buch, das sie neben sich liegen hatte. Ein bräunlicher Fleck erschien auf der Wand. »Er hätte dich schon nicht aufgefressen.«
»Ja, natürlich, Ma’am«, hauchte Ann. »Verzeihung, Ma’am. Es wird nicht wieder vorkommen!«
Sie kniete nieder und begann, die Scherben des zerbrochenen Tellers einzusammeln. Ihre Finger zitterten.
»Diese ganze fremdartige Natur ist widerlich!« McIntyre packte seine Papiere zusammen und erhob sich. »Ich bin im Studierzimmer und wünsche nicht gestört zu werden.«
Moira atmete auf. Sie fühlte sich stets unbehaglich in seiner Gegenwart und war erleichtert, wenn sie ihn nicht sehen musste. Sofern er nicht gerade Patienten zu behandeln hatte, verbrachte McIntyre den größten Teil des Tages in seinem Studierzimmer, wo er sich meist gleich nach dem Frühstück einzuschließen pflegte. Moira wusste nicht, was er dort trieb. Auf ihre vorsichtige Frage hatte er nur etwas von Forschungen gebrummelt. Eigentlich interessierte es sie auch nicht. Solange er sie nur in Ruhe ließ.
Ann hatte die Scherben weggeräumt; Moira konnte ihr unterdrücktes Schluchzen aus der Küche hören.
Als McIntyre und Moira vor zwei Wochen in Toongabbie angekommen waren, hatte Ann über Schmerzen und Fieber geklagt. McIntyre hatte sie ins Lazarett von Parramatta bringen lassen, von wo sie nach zwei Tagen in leidlich besserer Verfassung zurückgekehrt war.
Ob es klug gewesen war, sie einzustellen? Sicher, Ann bemühte sich, die vielen Pflichten eines Hausmädchens zu erledigen: Essen kochen, bedienen, Wäsche waschen, flicken und putzen. Doch es kam immer wieder vor, dass sie etwas zerbrach, vergaß oder das Essen anbrennen ließ. Sie war fahrig, nervös und hatte Angst vor allem und jedem. Vor Männern, vor Tieren und natürlich auch vor McIntyre. Er musste sie nur ein Mal scharf ansehen, und schon begann sie zu zittern. Bei der kleinsten Rüge brach sie in Tränen aus. Aber das junge Ding wegzuschicken, damit es in einer der Sträflingsunterkünfte arbeitete, brachte Moira nicht übers Herz. Wenigstens konnte sie halbwegs passabel kochen. Und McIntyre war es egal, wer sich um den Haushalt kümmerte, solange nur das Essen pünktlich auf dem Tisch stand.
Moira blickte in ihre Tasse Tee, wo die Milch Wolken bildete. Auf sie wartete wieder ein langer, ereignisloser Tag; es war kaum besser als auf der Minerva . Wie gern wäre sie durch die fremden Wälder gestreift, um die Umgebung zu erkunden, wie sie es in Irland oft gemacht hatte. Sie hätte auch die Kutsche, die ihnen zur Verfügung stand, nehmen und den umliegenden Farmen einen Besuch abstatten können. Zum Beispiel Dr. Wentworth; er hatte doch gesagt, sie müsse ihn unbedingt besuchen. Aber wahrscheinlich war Wentworth gar nicht zu Hause, sondern arbeitete im Lazarett oder war mit anderen Pflichten beschäftigt. McIntyre wollte sowieso nicht, dass sie sich ohne Begleitung so weit vom Haus entfernte. Es sei zu gefährlich allein für eine Frau. Und mitkommen wollte er natürlich auch nicht.
Sie schob den Stuhl zurück und trat ans Fenster. Das dunkelhäutige Mädchen war noch da.
Moira überlegte nicht lange. Sie vergewisserte sich, dass ihr Mann tatsächlich in seinem Studierzimmer verschwunden war, dann öffnete sie die Tür und trat hinaus auf die Veranda.
Die hochsommerliche Hitze
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