Das Lied der roten Erde (German Edition)
schien ewig zu dauern. Danach band man ihn los und warf ihm sein Hemd vor die Füße.
Bei den Hütten waren die meisten Sträflinge bereits dabei, sich ihr karges Morgenmahl einzuverleiben. In wenigen Minuten würde es wieder in den Busch gehen. Auch für Duncan. Sie würden ihn nicht schonen, nur weil er bestraft worden war. Wenn er nicht schnell genug auf die Beine kam, würde man ihn gleich noch einmal wegen Arbeitsverweigerung auspeitschen.
Er bückte sich schwerfällig nach seinem Hemd und wäre dabei fast gefallen. Als er sich wieder aufrichtete, sah er Fitzgerald auf sich zukommen.
»Tut weh, was?«
Duncan stieß einen unwilligen Laut aus. Konnte der Mann ihn nicht endlich in Ruhe lassen?
»Wieso hast du das getan?«
»Weil ich gesehen habe, wer es war.« Duncans Zunge fühlte sich an, als sei sie doppelt so dick wie sonst. Er hatte während der Schläge daraufgebissen, um keinen Laut von sich zu geben. »Und du warst es nicht.«
»Danke. Sehr anständig von dir.« Fitzgerald reichte ihm seine riesige Pranke, in der Duncans Hand fast verschwand. »Mein Name ist übrigens Samuel.«
»Duncan. Keine Ursache.«
Der Hüne nickte. »Knie dich hin!«
»Wieso? Willst du mich zum Ritter schlagen?«
»Nicht ganz.« Samuel stieß ihn leicht an, so dass er in die Knie ging, und trat hinter ihn. Ein paar Augenblicke später spürte Duncan, wie sich ein warmer Strahl über seine geschundenen Schultern ergoss. Es brannte höllisch in den offenen Striemen.
»Was …?«, wollte er auffahren. Wieso demütigte Samuel ihn auch noch? War sein Dank nur hohles Geschwätz gewesen?
»Bleib unten und warte ab!«, wies der Hüne ihn an und fuhr fort, auf seinen Rücken zu urinieren. Tatsächlich ließ der wütende Schmerz auf Duncans Rücken allmählich nach.
»Besser, was?«, sagte Samuel, als er fertig war, und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen. »Das ist das Einzige, was hilft. Und jetzt komm.«
6.
Der Weg von Parramatta nach Sydney war nicht mehr als ein breiter, holpriger Pfad, notdürftig von Gestrüpp und Baumwurzeln befreit und mit Schlaglöchern übersät. Da, schon wieder eines! Alistairs Hinterteil, das auf dem Kutschbock des einfachen Karrens hin und her geworfen wurde, würde am Abend sicher grün und blau sein. Aus jedem Baum entlang des Weges zirpte es oder erklang nervtötendes Vogelgezwitscher. Die Geräusche schienen ihn zu verfolgen, sich einen Spaß daraus zu machen, ihn zu verhöhnen. Das unbequeme Gefährt unter ihm schickte dumpfe Stöße durch seine Eingeweide. Am liebsten hätte er jetzt in seinem Studierzimmer gesessen, aber diese Fahrt ließ sich nicht länger hinauszögern.
Alistair seufzte erleichtert auf, als der Wald endlich den Blick auf die ersten weißgetünchten Häuser Sydneys freigab. Er hätte keine Minute länger auf diesem scheußlich harten Kutschbock zubringen mögen. Mit dem Karren hatte er einen erkrankten Einwohner von Toongabbie ins Lazarett von Parramatta gebracht und sich anschließend auf den Weg nach Sydney gemacht.
So beschwerlich die Reise auch war, es war eine Wohltat, endlich wieder in der Zivilisation angekommen zu sein. Auf der Anhöhe über der Bucht die Residenz des Gouverneurs, umgeben von einem streng geometrisch angelegten Rasen, dahinter eine Windmühle. Um den Hafen herum, in dem heute zwei Schiffe ankerten, die roten Ziegel- und braunen Schilfdächer der niedrigen Häuser mit ihren außenliegenden Schornsteinen. Weiter hinten die gleichförmigen Hütten der Sträflinge, daneben Gärten und Nutzflächen. Für seinen Geschmack war hier immer noch zu viel Grün, zu viel Natur. Überall wucherte Gras, erhoben sich hohe Bäume mit fedrigen Blättern.
Er lenkte den Karren in die Hauptstraße, dorthin, wo die Häuser der Offiziere standen. Schnell fand er, wonach er suchte: Das Haus von Major Penrith war ein elegantes, weiß gestrichenes Gebäude aus Ziegelsteinen, das Dach bedeckt mit blauen Schindeln, die fast aussahen wie feine Schieferplatten.
Die Räder knirschten über die ungepflasterte Straße. Alistair lenkte sein Gefährt neben das Haus, kletterte steifbeinig vom Kutschbock und band das Pferd an. Dann wischte er sich den Staub von Rock und Hosenbeinen und klopfte an der Tür.
Er musste so lange warten, dass er schon befürchtete, die Fahrt könnte umsonst gewesen sein. Doch dann öffnete sich die Tür. Eine Dienstmagd stand im Eingang, ihr rechtes Auge war geschwollen und von
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