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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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war ein Kind, wahrscheinlich noch keine zwölf Jahre alt. Wer wusste schon, was sie wirklich in ihm sah?  
    Das Geräusch wiederholte sich. Vielleicht war sie einfach nur neugierig? Aber wenn sie allein im Lager herumschlich, konnte ihr weiß Gott was zustoßen. Und sei es, dass sie von einem der wenigen Wachtposten entdeckt wurde. Die meisten Weißen betrachteten die Schwarzen nicht als vollwertige Menschen, und Vergehen an ihnen wurden fast nie gesühnt.  
    Duncan erhob sich. Seine Augen waren inzwischen gut an die Dunkelheit gewöhnt, er sah die Körper der Leidensgenossen ausgestreckt auf dem Boden liegen. Im Vergleich hierzu war ihre Unterkunft auf der Minerva geradezu luxuriös gewesen. Hier hatten sie nicht einmal Decken und mussten auf dem blanken Boden schlafen, bis zu zwanzig Mann in jeder der ärmlichen Hütten. Eine ältere Frau, die nachts in einer Hütte mit den anderen weiblichen Sträflingen wohnte, kochte ihnen das Essen und sorgte für Ordnung. Manchmal teilte sie auch das Lager mit einem der Männer.  
    Lautlos stieg er über die schlafenden Körper hinweg und achtete vor allem darauf, Fitzgerald nicht zu berühren, der in der Nähe des Eingangs schnarchte. Trotz des beengten Raumes hatte der Riese genug Platz um sich herum, da sich alle anderen einen Schlafplatz gesucht hatten, der weit genug von dem Hünen entfernt lag. Niemand wollte sich mit ihm anlegen. In den vergangenen Wochen war Duncan noch zweimal mit ihm aneinandergeraten; beide Male wegen Kleinigkeiten. Fitzgerald war der Einzige, der auch nachts Ketten tragen musste. Schon am zweiten Tag hatte man ihn wegen Aufsässigkeit ausgepeitscht, und er war seitdem kaum einsichtiger geworden. Das letzte Mal hatte man ihm vor vier Tagen das rote Hemd angezogen, wie sie die Bestrafung mit der Peitsche hier nannten.  
    Am Rand des Lagers sah er einen einzelnen Wachtposten. Wenn er wollte, könnte er jetzt fliehen. Niemand würde ihn aufhalten. Anfangs hatte es ihn erstaunt, wie wenig Wachtposten es hier gab. Aber wohin sollten sich die Sträflinge schon wenden? »Gefängnis ohne Wände« nannte man die Straflager. Denn da draußen gab es nichts als Dickicht, Eingeborene und wilde Tiere. Duncan hatte von Flüchtigen gehört, die Tage nach ihrer Flucht halb wahnsinnig vor Hunger zurückgekommen waren.  
    Die Luft war mild und warm, der heisere Schrei eines Vogels drang durch die Nacht, irgendwo quakte ein Frosch. Vor Duncan erhoben sich die Reihen der Sträflingshütten. Am äußeren Ende, dort, wo ein einzelner Vorratsschuppen stand, bewegte sich etwas. Ob es das Mädchen war? Gebückt schlich er zum Schuppen und versteckte sich dahinter. Hier waren die Vorräte und die Fässer mit Rum gelagert, von denen die Sträflinge selten genug etwas bekamen. Ein Licht glomm im Inneren auf. Das war sicher nicht das Mädchen! Er spähte vorsichtig durch eine Lücke in der Bretterwand und sah Quigley und Walsh, zwei Sträflinge, die mit ihm auf der Minerva gewesen waren. Walsh war dabei, ein Fass Rum anzustechen; Quigley leuchtete ihm mit einem brennenden Kienspan.  
    »Mach schon!«, hörte Duncan Quigley flüstern. »Ich brauch was zu saufen, und wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!«  
    Duncan hatte genug gesehen. Erleichtert, dass es nicht das Mädchen war, zog er sich lautlos wieder zurück. Was die anderen taten, ging ihn nichts an. So rasch und leise, wie er gekommen war, eilte er zurück zu seiner Hütte und legte sich wieder auf seinen Schlafplatz. Alles war unverändert, niemand hatte sein Wegbleiben bemerkt. Sein rasch klopfendes Herz beruhigte sich allmählich wieder, und die Müdigkeit griff mit langen Armen nach ihm.  
    *  
    Am Morgen wurde er unsanft geweckt. Wilkins, der Aufseher, hatte die Tür ihrer Hütte aufgerissen und brüllte die Sträflinge aus dem Schlaf. Duncan kämpfte sich hoch und streifte sich sein zerschlissenes Hemd über, das von Schweiß und Salz schon ganz steif war. Noch nicht ganz wach, mussten sich alle vor ihrer Behausung aufstellen. Auch die Insassen der anderen Hütten wurden von ihren Aufsehern ins Freie getrieben, bis sie alle in vier langen Reihen Aufstellung genommen hatten.  
    Holligan, der Oberaufseher, kam heran und begann, die vierfache Reihe langsam abzuschreiten und jeden Einzelnen prüfend anzusehen.  
    »Ihr Bande nichtsnutziger Tagediebe!«, begann er mit donnerndem Bass. »Ihr Haufen diebischer Schmeißfliegen. Hängen und Vierteilen müsste man euch, alle miteinander!« Dann wurde seine Stimme

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