Das Lied der roten Erde (German Edition)
ich wollte immer eine große Familie haben. Und dieses Land ist so wundervoll, so ursprünglich – ich werde nicht müde, seine Schönheit zu preisen.« Elizabeth blickte auf. »Aber das ist es nicht, was Ihr meint, nicht wahr? Was bedrückt Euch, Moira?«
Moira hob die Schultern. »Wenn ich mir vorstelle, mein ganzes Leben hier verbringen zu müssen – mit … mit meinem Mann …« Mit dem alten Bock, hätte sie fast gesagt, konnte sich aber im letzten Moment zurückhalten.
»Ihr seid noch so jung, Moira. Ihr seid noch dabei, Euren Platz im Leben zu finden. Lasst Euch Zeit damit.« Elizabeth griff gedankenverloren nach ihrem Glas, trank aber nicht. »Als John und ich hierherkamen, war ich dreiundzwanzig Jahre alt und hatte bereits ein Kind geboren. Auf der Reise, in einem Pub in England, man stelle sich das einmal vor! Und Lizzie kam in Sydney zur Welt, als dort kaum mehr als ein paar schäbige Hütten standen.« Sie ließ das Glas los. »Ihr hattet einen besseren Start. Versucht nicht, etwas herbeizuzwingen. Es ist wie mit dem Löwenzahn; er biegt sich, aber er bricht nicht. Und durchdringt so das härteste Gestein.«
Sicher, dachte Moira. Aber das gilt wohl kaum für meinen Fall.
»Aus kleiner Knospe erwächst volle Frucht. John und ich haben mit einer Handvoll Schafen begonnen, und seht Euch jetzt unsere Herde an. Es gibt so viele Möglichkeiten, seine Ziele zu erreichen, man muss nur wissen, wie man es anstellt. Lenkt Euren Gemahl mit sanfter Hand, ohne dass er es merkt. Überlasst ihm die Führung, aber zieht hinter den Kulissen die Fäden. Ich bin sicher, dass dann ein wundervolles Leben vor Euch liegt.«
Die Sonne schimmerte durch die Bäume am Flussufer und färbte das Wasser rosig. War es denn schon so spät? Moira wäre liebend gern noch geblieben, aber vor ihr lag eine knapp einstündige Fahrt mit der Kutsche, mit keiner anderen Begleitung als der schreckhaften Ann neben sich.
Sie erhob sich. »Ich danke Euch von Herzen, Elizabeth, aber ich fürchte, es wird Zeit. Könntet Ihr Ann Bescheid geben lassen, dass wir aufbrechen?«
»Müsst Ihr wirklich schon wieder fort?«
»Ja, leider. Ich möchte zu Hause sein, bevor mein Mann aus Sydney zurückkehrt.«
»Dann weiß er gar nicht, dass Ihr hier seid?«
Moira schüttelte den Kopf. »Er muss nicht alles wissen.«
Elizabeth runzelte die Stirn. »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken an diese Geheimniskrämerei. Ich bitte Euch, sprecht mit ihm. Und dann besucht mich, so oft Ihr könnt. Bitte, kommt wieder, so schnell es Euch möglich ist. Am liebsten gleich morgen!«
Moira lächelte. »Mit dem größten Vergnügen.«
*
Es gab Tage, an denen wusste man schon beim Aufstehen, dass sie nicht gut werden würden. Heute war ein solcher Tag.
Es fing damit an, dass July nicht auftauchte. Das war schon öfter vorgekommen und an sich nichts Ungewöhnliches, aber gerade heute sehnte Moira sich nach dem Eingeborenenmädchen. Und die nächsten Stunden boten auch wenig Grund zur Freude.
Das Mittagessen verlief schweigend. McIntyre sah wie immer kaum hin, während er Fleischstücke in sich hineinschaufelte, den Blick auf seine Papiere gerichtet. Moira stocherte lustlos auf ihrem Teller herum und schob die Erbsen von einem Tellerrand zum anderen. Ihr war viel zu heiß, um Hunger zu verspüren.
»Ivy hat geschrieben«, sagte sie schließlich in die Stille hinein.
McIntyre hob den Kopf und griff nach seinem Wasserglas. »So? Geht es deiner Familie gut?«
Moira nickte. »Mutter will Dorchas verkaufen«, presste sie hervor.
»Dorchas?«
»Meine Stute. Sie hat im März letzten Jahres gefohlt, und –«
»Ann!« McIntyre wandte sich suchend nach dem Mädchen um. »Wo steckt sie nur? Ann! Noch mehr Wasser!«
Eilfertig erschien das Mädchen an seiner Seite und füllte sein Glas neu.
»Ihr hört mir überhaupt nicht zu! Ihr sitzt nur da und beschäftigt Euch mit … mit Euren langweiligen Papieren!« Moira schob aufgebracht ihren Stuhl zurück. »Ann«, wandte sie sich nun ihrerseits an das Mädchen. »Ann, lauf hinüber zum Kutschenhaus und lass das Pferd anschirren.«
McIntyre sah sie konsterniert an. »Du wirst gefälligst sitzen bleiben!«
»Ich denke ja nicht daran«, widersprach Moira. »Ihr könnt mich hier nicht festhalten. Wenn Ihr Euch schon nicht dafür interessiert, was ich zu sagen habe, dann suche ich mir eben selbst Gesellschaft. Ann, lass die Kutsche vorbereiten!«
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