Das Lied der roten Erde (German Edition)
ist schon das zweite Schaf, das sich hier eingeklemmt hat.«
Sie blinzelte in die Ferne und verscheuchte eine Fliege, die ihr zu nah kam, dann winkte sie. Moira folgte ihrem Blick. Dort hinten konnte sie einen Mann zu Pferd, wahrscheinlich Mr Macarthur, erkennen. John Macarthur war ein Offizier des New South Wales Corps, der sich mittlerweile fast vollständig der Schafzucht widmete. Vor ihm im Sattel saß ein Junge, der freudig zurückwinkte. Ein weiterer folgte ihm auf einem Pony – die beiden ältesten der Macarthur-Jungen.
»Der kleine John kommt immer mehr nach meinem Mann«, sagte Mrs Macarthur nicht ohne Stolz in der Stimme. »Er ist schon sehr selbständig. Und jetzt lasst uns zurückgehen. Von all den Dingen, die ich an diesem Land schätze, gehört die Hitze nicht dazu.«
Das Haus der Macarthurs, die Elizabeth Farm , war ein großer Ziegelsteinbau mit breitem, überhängendem Dach. Es erinnerte Moira entfernt an Bilder, die sie einmal von indischen Bungalows gesehen hatte. Als sie auf der schattigen Veranda Platz genommen hatten, von der aus sie auf das glänzende Band des Parramatta River sehen konnten, kam eine junge Frau im einfachen braunen Kleid der weiblichen Sträflinge aus dem Haus. Ihr folgte ein kleines Mädchen von vielleicht acht Jahren, das ein Tablett mit zwei Gläsern und einem Krug Limonade balancierte, die Zunge vor Konzentration zwischen die Zähne geschoben.
»Lizzie wollte es unbedingt selbst versuchen«, sagte die junge Frau entschuldigend, während das Kind das Tablett auf dem kleinen Holztisch abstellte.
»Ich habe nicht einen Tropfen verschüttet, Mutter!«
»Vielen Dank, Lizzie.« Mrs Macarthur strich dem Kind über den blonden Schopf.
Das Mädchen blickte Moira neugierig an. »Wer ist das?«
»Das ist meine liebe Freundin Mrs McIntyre, die Frau von Dr. McIntyre aus Toongabbie. Sie besucht mich. Und jetzt geh mit Megan wieder hinein.« Sie sah den beiden nach. »Ist sie nicht ein Goldstück?«
Moira nickte und griff nach ihrer Limonade. »Ich wünschte, ich hätte auch ein Kind«, entfuhr es ihr zu ihrem eigenen Erstaunen. Es war das erste Mal, dass sie diesen Gedanken bewusst formulierte. Bisher waren ihre Überlegungen in dieser Richtung hauptsächlich dem Umstand geschuldet gewesen, dass sie dann erst einmal Ruhe vor McIntyre haben würde. »Etwas, das zu mir gehört und um das ich mich kümmern könnte. Aber offenbar bin ich nicht dazu geschaffen.«
Elizabeth sah sie mitfühlend an. »Ich glaube, ich habe etwas für Euch. Entschuldigt mich für einen Moment.«
Sie erhob sich, ohne auf Moiras Antwort zu warten, und verschwand im Haus.
Moira trank ihre Limonade und ließ den Blick schweifen, über den in der Sonne glitzernden Fluss bis hin zu den grünen Schafweiden. Daneben schlossen sich Getreidefelder und Obstwiesen an, und dahinter erhoben sich frisch angelegte Terrassen für Weinstöcke; eine Farbenpracht in Grün, Gelb und Purpur. Ein leichter Wind trug strengen Schafsgeruch zu ihr, das stetige Zirpen der Grillen tat ihren Ohren wohl. Hier fühlte sie sich zu Hause. So zu Hause, wie sie es in Toongabbie noch nie getan hatte.
Ihr Blick fiel auf die hölzernen Treppenstufen, die zu Elizabeths Veranda führten. An der gleichen Stelle auf Moiras Veranda hatte der Sträfling gesessen. O’Sullivan. Bei diesem Gedanken stieg plötzliche Wärme in ihr auf. Sie schüttelte den Kopf. Der Mann war ein verurteilter Rebell, ein Verbrecher, der ihresgleichen vielleicht tot sehen wollte. Und dennoch …
Als Elizabeth nach wenigen Minuten zurückkehrte, reichte sie Moira ein kleines verschnürtes Päckchen. »Das ist eine Kräutermischung, die die Empfängnis begünstigt. Himbeerblätter, Salbei und Frauenmantel. Macht Euch täglich einen Tee daraus und trinkt ihn. Zumindest bei mir hat er gute Dienste geleistet.« Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. »Wenn mich nicht alles trügt, dann bin ich bereits wieder guter Hoffnung. – Noch etwas Limonade?«
»Danke, nein. Ich kann nicht mehr lange bleiben.«
Elizabeth setzte sich wieder. »Oh, aber Ihr müsst mir versprechen, mich wieder zu besuchen, so schnell wie nur möglich. Ich kann hier so schlecht weg, und ich dürste nach weiblicher Gesellschaft!«
»Versprochen«, lächelte Moira, dann wurde sie wieder ernst. »Wird es Euch nicht leid, dieses … Leben hier?«
»Ich möchte nicht verhehlen, dass ich ab und an einen Anflug von Erschöpfung verspüre. Aber
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