Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
Vom Netzwerk:
bunter Vögel stieg kreischend auf.  
    Sie war nicht allein. Etwas schob sich in ihr Blickfeld, das Gesicht eines hageren Mannes, dem das verschwitzte Haar am Kopf klebte. Ein Sträfling. Zwei Fliegen summten hinter seinem Ohr.  
    »Ma’am?« Er grinste sie einfältig von oben an, mit offenem Mund, in dem einige Zähne fehlten.  
    »Guten Tag«, murmelte Moira. Sie rappelte sich auf, bewegte vorsichtig ihren Fuß und seufzte erleichtert auf, als sie ihn problemlos bewegen konnte. Ein Baumstumpf, knapp über der Wurzel abgetrennt, hatte sie zu Fall gebracht. Jetzt sah sie auch die gefällten Bäume, die man erst zum Teil von ihren Zweigen befreit hatte. Sie strich über ihren Rock, um Blattreste und Aststücke zu beseitigen. Der helle Stoff ihres Kleides wies an der Schulter einen großen Riss auf.  
    Aus dem Schatten der Bäume und Büsche erhoben sich jetzt weitere Gestalten; sie war in eine Arbeitsgruppe von Sträflingen geraten, die hier ihre Mittagspause abhielt. Fünf, nein, sechs Mann zählte sie. Hastig kreuzte sie die Arme vor der Brust und versuchte, den Riss an der Schulter zu bedecken. Diese Männer waren verurteilte Verbrecher, und die meisten trugen nur die mit einer kurzen Kette verbundene Handfessel, die man ihnen in der Arbeitspause anlegte. Lediglich zwei schleppten auch noch Fußeisen mit sich herum. Wo war bloß der Aufseher?  
    »Na, was haben wir denn da für ein hübsches Vöglein?« Ein feist grinsender Sträfling mit schweißglänzendem Gesicht trat auf sie zu. Ein zweiter kam von links. Sie wich erschrocken zurück und stieß dabei mit einem weiteren Mann zusammen. Nahm dieser Alptraum denn gar kein Ende?  
    »Hört auf! Das ist Mrs McIntyre, die Frau des Doktors!«  
    Sie kannte diese Stimme! Moira blickte auf, und ihr Herz tat einen erleichterten Sprung. Es war O’Sullivan, der Sträfling, der auf ihrer Veranda gesessen hatte.  
    Er nahm sie am Arm, fast grob, und führte sie ein paar Schritte weiter, fort von den anderen.  
    »Was ist los, O’Sullivan? Willst du sie für dich alleine haben?«, rief ihm einer hinterher.  
    »Was macht Ihr hier, Mrs McIntyre?«, fragte er leise. »Geht es Euch gut?«  
    »Ja. Ja, ich … ich habe mich nur verlaufen.« Es klang reichlich dürftig, aber irgendeine Erklärung musste sie schließlich anbieten.  
    Er blieb stehen, ohne seinen Griff zu lockern, und musterte sie. Obwohl ihm die kurze Kette zwischen seinen Handfesseln nur wenig Spielraum ließ, fühlte sie sich verunsichert. Sogar ausgesprochen verunsichert.  
    Er trug kein Hemd; unter der bronzefarbenen Haut seines Oberkörpers spannten sich sehnige Muskeln. So viel schiere Körperlichkeit war Moira nicht gewöhnt, und in ihrem Bauch stieg ein eigenartiges Kribbeln auf. Die einzigen Männer, die sie je dermaßen leicht bekleidet gesehen hatte, waren die Eingeborenen gewesen. McIntyre zeigte sich ihr auch nachts nie anders als im Nachthemd, und sie hatte wahrlich kein Verlangen, noch mehr von ihrem Mann zu sehen.  
    O’Sullivans Griff um ihren Arm war fest. So fest, dass es weh tat.  
    »Lasst mich los«, befahl sie und versuchte, ihren Arm zu befreien.  
    Er tat es nicht. »Es ist gefährlich … hier«, sagte er langsam. »Ihr solltet nicht hier sein.«  
    »Das hatte ich auch nicht vor!« Ihre Stimme war schärfer, als sie beabsichtigt hatte. Hatte sie sich in ihm getäuscht?  
    Er beugte sich näher zu ihr, schien ihren Duft einzusaugen wie ein Tier auf Beutezug. Moira spürte ihr Herz klopfen. Fürchtete sie sich etwa vor ihm? Nein, es war nicht nur Furcht, es war –  
    »Nimm sofort deine dreckigen Hände von der Lady!«  
    Die Stimme eines Aufsehers. Er drängte sein Pferd zwischen sie, und obwohl O’Sullivan Moira losgelassen hatte, zog der Aufseher ihm mit dem Knüppel eins über. Als der Sträfling keuchend in die Knie ging, sah Moira kaum verheilte Peitschenspuren auf seinem Rücken. Der Aufseher sprang vom Pferd, hob erneut den Knüppel und ließ ihn niedersausen. Ein zweiter Aufseher kam zu Fuß angelaufen.  
    »Du dreckiger Bastard, was hast du der Lady angetan?«  
    »Aufhören!«, schrie Moira erschrocken. »Er hat mir nichts getan. Er wollte nur helfen!« Noch immer glaubte sie den festen Griff seiner Finger um ihren Arm zu spüren.  
    Der Aufseher hielt inne und bedachte den Riss in ihrem Kleid mit einem zweifelnden Blick. »Tatsächlich?«  
    »Es ist wahr!« Moiras Anspannung fiel in sich zusammen. O’Sullivan kniete noch immer am Boden, er

Weitere Kostenlose Bücher