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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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gesprochen. »Was sagst du?«  
    O’Sullivan hatte seinen Ausführungen stumm und fast ohne erkennbare Regung zugehört. Jetzt hielt er Alistair das Röhrchen hin. »Versucht es.«  
    »Gut.« Alistair atmete auf. Die erste Hürde war genommen. Jetzt kam der wirklich schwierige Teil, schließlich hatte er bislang nur mit toten Tieren experimentiert. Er schob den Stuhl in die Mitte des Raums. »Setz dich.«  
    Alistair trat hinter die Stuhllehne. Das Metall fühlte sich eiskalt in seiner Hand an, und dabei war es warm im Zimmer, so warm, dass er für einen Moment glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Feiner Schweiß sammelte sich auf seinen Handflächen, seine Hände zitterten leicht. Er wischte sie an seinem Rock ab und zwang sich zu einem tiefen Atemzug. Er musste unbedingt ruhiger werden.  
    »Den Kopf in den Nacken. Noch mehr. Ja, gut so.« Alistair legte seine linke Hand unter das Kinn des Sträflings. So nah war er dem jungen Mann noch nie gewesen. Er sah die feuchte Haut von O’Sullivans Halsbeuge und das Pochen seiner Halsschlagader. »Schau zur Decke. Und jetzt entspann dich. Mach den Mund auf und versuch, den Würgereiz so lange wie möglich zu unterdrücken.«  
    Es war vorbei, bevor es richtig begonnen hatte. Als er das Röhrchen durch O’Sullivans Rachen schieben wollte, verkrampfte sich der junge Sträfling und fing an zu husten und zu würgen, als wäre er am Ersticken. Die Gefahr, dass er sich ernsthaft verletzte, war zu groß. Alistair zog das Röhrchen schnell wieder zurück.  
    »Es tut mir leid«, murmelte O’Sullivan, als er wieder reden konnte. Er hustete erneut und wischte sich die Tränen aus den Augen.  
    »Lass dir bloß nicht einfallen, dich hier zu übergeben!« Nagende Frustration machte sich in Alistair breit. Mit einem so frühen Rückschlag hatte er nicht gerechnet. War alles umsonst gewesen? All seine Forschungen, all die lange Zeit?  
    »Du enttäuschst mich«, sagte er kalt und wischte das Zinnröhrchen mit einem Lappen ab. »So wird das wohl nichts mit der Begnadigung. Wie es aussieht, muss ich mir einen anderen Kandidaten suchen.«  
    O’Sullivan war aufgestanden. Er unterdrückte ein Husten und räusperte sich. »Sir, das müsst Ihr nicht. Ich … ich bin sicher, dass ich es schaffen werde. Ich brauche nur etwas Zeit. Gebt mir … gebt mir zehn Tage … oder eine Woche. Dann wird es funktionieren!«  
    Alistair verstaute das Röhrchen wieder im Futteral und sah ihn zweifelnd an. »Wirklich?«  
    »Lasst es mich einfach versuchen. Wenn es dann nicht klappt, könnt Ihr … könnt Ihr mich zurückschicken ins Straflager.«  
    Alistair sah ihn an, sah die Entschlossenheit in diesen grünen Augen und etwas, das ihn glauben lassen wollte.  
    »Also gut«, sagte er. »Eine Woche.«  
    *  
    McIntyre hatte O-Beine. Während Moira jetzt hinter ihm herlief, fiel es ihr wieder einmal auf: Er watschelte wie eine große Ente.  
    »Wie lange seid Ihr jetzt schon in Neusüdwales, Mrs McIntyre?« Anna King, die Frau des zukünftigen Gouverneurs, hatte sich bei ihr eingehakt.  
    »Vier Monate«, gab Moira zurück. »Aber es kommt mir vor wie eine kleine Ewigkeit.«  
    Anna King hob den Saum ihres hellen Musselinkleides und setzte grazil den Fuß über eine Schlammpfütze. Einen Sonnenschirm in der Hand, der an diesem trüben Tag allerdings nicht vonnöten sein dürfte, und mit einem Hütchen neuester Mode angetan, war sie der Inbegriff englischen Landadels. Sie war eine der schönsten Frauen, die Moira je gesehen hatte, und strahlte eine natürliche Würde aus.  
    »Ich hoffe, Ihr werdet Euch ebenso schnell hier einleben wie wir.« Moira fielen nur Plattitüden ein. Und McIntyre war ihr auch keine Hilfe.  
    Erneut warf sie einen besorgten Blick auf die vielen Soldaten und Konstabler, die mit dem Ehepaar King an diesem Vormittag in Toongabbie erschienen waren. Was dieser Auflauf wohl zu bedeuten hatte? Irgendetwas lag in der Luft, eine Spannung, die man fast mit Händen greifen konnte. Ein Großteil der Soldaten war ausgeschwärmt, Moira konnte die roten Uniformröcke überall leuchten sehen. Bei den Verwaltungsgebäuden standen weitere Offiziere; neben Mr King konnte Moira Lagerverwalter William Penrith erkennen und die hochgewachsene Gestalt von dessen Bruder, Major James Penrith.  
    McIntyre hatte gerade den Sträflingen in der Krankenhütte einen Besuch abstatten wollen, als die Eheleute King in Toongabbie erschienen waren. Sie machten hier kurz Station, bevor sie

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