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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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älterer Sträfling, nickte. Die Muskeln um seinen Mund zuckten, als führten sie ein Eigenleben. Er musste große Schmerzen haben.  
    »Schwarz und haarig. Sie saß unter einem Stein«, nuschelte er. Alistair hatte Mühe, ihn zu verstehen.  
    »Er will sich nur vor der Arbeit drücken!«, warf der Aufseher ein, der ihn begleitete.  
    Alistair schüttelte den Kopf. »Das zu beurteilen, Mr Grover, lasst doch bitte meine Sorge sein.«  
    Der Sträfling simulierte nicht. Sein ganzer Körper sonderte Flüssigkeit ab; Schweiß strömte ihm über die Stirn, Tränen liefen ihm aus den Augen, und er schluckte in schneller Folge, als wäre auch der Speichelfluss erhöht.  
    »Meine Zunge fühlt sich ganz komisch an«, stöhnte er. »Und mir ist –«  
    Er drehte sich zur Seite und erbrach sich in eine Schüssel, die O’Sullivan ihm geistesgegenwärtig untergeschoben hatte. Der junge Sträfling war heute zum ersten Mal bei einer Behandlung dabei.  
    »Das ist ja ekelhaft!« Angewidert wandte sich der Aufseher ab.  
    Der Verletzte krümmte sich.  
    »Bitte, Doktor«, flehte er, »helft mir! Lasst mich nicht sterben!«  
    »Niemand wird hier sterben«, brummte Alistair.  
    Allerdings war er nicht ganz sicher, wie in diesem Fall zu verfahren war. In Irland gab es keine Schlangen. Neusüdwales hingegen war voller unbekannter Gefahren. Das hatten vor allem die Gefangenen auf schmerzhafte Weise erfahren müssen.  
    Alistair wusste bereits von drei Todesfällen unter den Sträflingen, die auf Schlangenbisse zurückzuführen waren. Von giftigen Spinnen allerdings hörte er heute zum ersten Mal. Am besten würde er vorgehen wie bei einem Schlangenbiss.  
    Über dem Ellbogen des Sträflings hatte er bereits eine feste Bandage angebracht, um die Blutzufuhr zu unterbinden. Jetzt fixierte er Ellbogen und Handgelenk mit einer Schiene und holte ein Skalpell aus seiner ausgebeulten Arzttasche.  
    »Was tut Ihr? Wollt Ihr mir die Hand abschneiden?« Der Gefangene keuchte erschrocken auf und entwickelte mit einem Mal Kräfte, die Alistair ihm gar nicht mehr zugetraut hätte. Er begann, sich auf dem Behandlungstisch zu winden und zu krümmen, bis O’Sullivan beide Hände auf seine Schultern legte.  
    »Jetzt hör schon auf, Murphy. Der Doktor will dir helfen!«  
    »Wenn er sich weiter so anstellt, überlege ich mir das noch mal«, fluchte Alistair. »Halte ihn gut fest!«  
    Das Skalpell schnitt an der ersten Bissstelle in das Handgelenk. Und noch einmal, so dass eine kreuzförmige Wunde entstand. Bei jedem Schnitt stöhnte Murphy auf, Blut ergoss sich über seine Hand. Die gleiche Prozedur ein weiteres Mal, an der zweiten Bissstelle.  
    Alistair ließ die Wunden bluten, bis der Strom versiegte, dann verband er die Schnitte. Er überlegte nur kurz, dann stand seine Entscheidung fest. Im Lazarett von Parramatta würde man auch nicht mehr für den Mann tun können. Er, Alistair, würde diesen Fall selbst beobachten. Mit einem Spinnenbiss würde er schon umgehen können.  
    »Bringt ihn zurück ins Lager, in die Krankenhütte«, wandte er sich an Grover. »Und stellt einen Mann ab, der bei ihm bleibt. Ich komme in einer Stunde vorbei und sehe noch einmal nach ihm.«  
    »Doktor, ich kann keinen Mann erübrigen!«, protestierte der Aufseher. Und dann, leiser, damit die beiden Sträflinge es nicht hören konnten. »Letzte Nacht ist einer der Gefangenen geflohen. Er wird nicht weit kommen, aber –«  
    »Das interessiert mich nicht, Mr Grover. Dieser Mann benötigt Betreuung!«  
    Der Aufseher verstummte, eingeschüchtert, wie Alistair hoffte, von seiner ärztlichen Autorität.  
    Alistair wartete ungeduldig, bis der Aufseher mit dem Verletzten verschwunden war, dann wusch und trocknete er sich die Hände, zupfte seine Rockärmel zurecht und trat in den Flur.  
    »Ann? Ann, verdammt noch mal, wo … Ah, da bist du ja. Ann, mach hier sauber. O’Sullivan, du kommst mit mir.«  
    Alistair führte ihn ins Studierzimmer und schloss von innen ab. Eine Mischung aus Erwartung und Aufregung erfüllte ihn; es war ungewohnt, zu zweit in diesem Raum zu sein, den er sonst nur für sich nutzte. Aber von jetzt an konnte er nicht mehr alleine weitermachen. Eine halbe Stunde musste reichen, um herauszufinden, ob O’Sullivan sich eignete.  
    Er ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen und musterte den jungen Sträfling, in dessen Augen er einen Hauch von Neugier zu sehen glaubte. Bisher war er zufrieden mit ihm, er hatte sich gut

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