Das Lied der roten Erde (German Edition)
nach Parramatta und zu den Siedlungen am Hawkesbury weiterreisten.
»Sagt, Dr. McIntyre«, hatte Mrs King mit Blick auf McIntyres zerbeulte Arzttasche gefragt, »würde es Euch etwas ausmachen, wenn Eure Frau und ich mitkämen? Ich bin sicher, diese armen Gestalten würden sich über zwei mitfühlende Seelen freuen.«
»Oh, nun … ja, warum auch nicht?« McIntyre war mindestens so überrascht wie Moira selbst gewesen. Sie begleitete ihren Mann sonst nie bei seinen Konsultationen, aber diese Bitte hatte sie schwerlich ablehnen können. Und so hatten sie sich zu dritt auf den Weg gemacht. Mrs King war eine angenehme Begleitung. Moira hatte so wenig weibliche Gesellschaft – noch weniger, nachdem McIntyre ihr die Besuche bei Elizabeth untersagt hatte –, dass der kurze Weg ins Straflager viel zu schnell vorüber war.
Die Sträflinge waren bei der Arbeit. Nur die Krankenhütte am Rande des Lagers war belegt; hier waren die Gefangenen untergebracht, die nicht so schwer erkrankt waren, als dass man sie ins Lazarett von Parramatta hätte bringen müssen.
»Ihr erlaubt?« McIntyre öffnete die geflochtene Tür und ging als Erster hinein. Die Frauen folgten ihm. Durch ein winziges Fenster drang gedämpftes Licht. Zwei Männer befanden sich in der Hütte, in der Luft hing der Geruch von Fieber und Krankheit. Moiras Blick fiel auf die halb aufrecht schlafende Gestalt auf der rechten Seite. Es war der hünenhafte Gefangene, den sie auf der Minerva gesehen hatte. Schwere Fesseln umschlossen seine Hand- und Fußgelenke, und Verbände zogen sich um seinen Oberkörper.
»Der arme Mann!« Mrs King schüttelte den Kopf. »Was hat er verbrochen, dass man ihn dermaßen bestraft?«
»Fluchtversuch«, erwiderte McIntyre lakonisch, sah sich einen Augenblick suchend um und stellte seine Tasche dann auf den nackten Boden.
»Das ist … barbarisch!«
McIntyre hob die Schultern. »Wir sind hier in einem Straflager, Eure Exzellenz.«
»Bitte, Dr. McIntyre, sagt Mrs King zu mir. Noch ist mein Gemahl nicht Gouverneur.«
»War er auch dabei?« Moira deutete auf den anderen Gefangenen, der unter der verschlissenen Decke kaum auszumachen war.
»Nein, das war ein Spinnenbiss«, erklärte McIntyre. »Inzwischen müsste es ihm bessergehen.«
Die schweren Ketten klirrten, als der Hüne sich bewegte. »Wasser«, stöhnte er. Seine Lider flatterten, dann öffnete er die Augen.
Mrs King raffte ihr Kleid und beugte sich zu ihm hinunter.
»Bitte«, sagte Moira rasch, »Mrs King, Ihr solltet nicht …«
»Aber warum denn nicht?« Anna King griff nach der Schöpfkelle, die in einem Wassereimer stand, füllte einen Becher und reichte ihn dem Gefangenen. »Hier, trinkt.« Sie half ihm, als sie merkte, dass er Mühe hatte, den Becher zu halten. »Wie ist Euer Name?«
»Fitzgerald«, murmelte er und sah von seinem Becher auf. »Samuel Fitzgerald, Ma’am. Seid Ihr ein Engel?«
»Frag nicht so etwas Dummes!«, fuhr McIntyre ihn an. »Die Lady ist Mrs Anna King, die Frau des zukünftigen Gouverneurs von Neusüdwales!«
»Für welches Verbrechen hat man Euch in dieses Land geschickt, Mr Fitzgerald?«
Der Hüne blinzelte sie an. »Raub, Ma’am. Und Angriff auf einen Konstabler. Er hat mich –«
Er verstummte, als ein Aufseher hereinkam.
»Doktor, auf Anordnung von Lagerverwalter Penrith muss ich Euch und die Damen bitten, diesen Platz zu verlassen. Die Hütten werden durchsucht. Es heißt, einige Gefangene würden einen Aufstand planen.«
Moira sah den Aufseher entsetzt an. »Einen Aufstand?«
McIntyre hingegen besann sich auf seine ärztlichen Pflichten. »Ich muss mich um diese Gefangenen kümmern. Sie –«
»Gebt Euch keine Mühe mit Fitzgerald!«, fiel ihm der Aufseher ins Wort. »Wenn der abkratzt, ist es nicht schade um ihn. Nicht wahr, du Ratte?« Er gab dem Hünen einen Tritt in die Seite.
»Wie könnt Ihr nur so über einen Menschen reden?«, empörte sich Mrs King. Sie war aufgestanden und klopfte sich den Staub vom Kleid. »Niemand verdient es, so behandelt zu werden!«
Der Aufseher hob die Schultern. »Nun, der hier schon, Ma’am. Wenige Meilen von hier haben wir ihn wieder eingefangen. Er hat sich gewehrt wie ein Verrückter. Drei Konstabler hat er dabei verletzt. So einem gehört es nicht besser.«
»Könnt Ihr einem Mann absprechen, dass er sich nach Freiheit sehnt?«, gab Mrs King zurück. »Was geschieht mit ihm?«
»Sobald er
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