Das Lied der roten Erde (German Edition)
sei ein Dämon in den Major gefahren.«
»Ich hätte Euch nicht für so abergläubisch gehalten.«
So durfte kein Sträfling mit ihr sprechen. Absolut nicht. Aber hier, in dieser unwirklichen Umgebung, war alles anders, schienen diese Grenzen aufgehoben.
»Es ist die Krankheit des heiligen Paulus«, fuhr er fort. »Die Fallsucht. Erinnert Ihr Euch, wie eigenartig sich der Dingo verhalten hat?«
»Ja! Es schien fast, als wüsste er, was mit dem Major nicht stimmt. Als wollte er ihn warnen.«
»Manche Hunde können es spüren. Sie merken, wann ein Anfall droht.«
»Woher wisst Ihr das?«
»Der Doktor hat es vorhin erwähnt«, gab er zu. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Moira atmete tief ein und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste nur, dass sie schon viel zu lange hier im Wald war, allein mit ihm. Aber sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart. Sie spürte den leichten Wind in ihrem Haar. Im nächsten Moment schrie sie auf und ließ vor Schreck die Laterne fallen. Schlagartig erlosch das Licht.
»Was ist los?« O’Sullivans Stimme klang besorgt.
Moira keuchte, ihre Hände fuhren nach oben. »Ich … ich weiß nicht! Irgendetwas sitzt auf meinem Kopf! In meinem Haar!« Sie flüsterte, obwohl sie am liebsten geschrien hätte. Aber das wagte sie nicht.
Spitze Krallen klammerten sich in ihr Haar, ganz nah an ihrem Ohr quiekte und zirpte es. Vor ihrem geistigen Auge erschienen die schrecklichsten Gestalten der Wildnis.
»Holt es runter! Bitte!« Ihre Stimme wurde schriller.
»Bleibt ganz ruhig stehen! Ihr dürft Euch nicht bewegen!«
»Schnell! Bitte!« Es fiel ihr schwer, seiner Anweisung nachzukommen. Mit angehaltenem Atem und fest geschlossenen Augen stand sie zitternd da. O’Sullivans Hände tasteten sich an ihren Schultern entlang, bis er ihren Kopf erreicht hatte. Seine Finger fassten in ihr Haar.
»Ich glaube nicht, dass es gefährlich ist«, hörte sie dann seine Stimme in der Dunkelheit. »Es fühlt sich ganz weich an. Wie ein … Aua … Aber es hat scharfe Krallen. Und es scheint sich bei Euch wohl zu fühlen.« Er lachte leise und tastete sich weiter in ihr Haar.
»Trotzdem«, bat sie, nun weitaus ruhiger. »Nehmt es fort.«
»Ich glaube, es ist etwas Ähnliches wie eine große Maus«, sagte er ganz nah bei ihr. »Oder eher wie ein Eichhörnchen. Es hat einen langen, buschigen Schwanz. Und – hier spüre ich ganz viel Haut. Behaarte Haut. Ein seltsames Kerlchen.«
Seine Nähe ließ ihr Herz schneller schlagen, aber ihre Angst war verschwunden. Tief sog sie seinen Geruch nach Stall, Rauch und frischem Schweiß ein und hielt mit geschlossenen Augen still, während er das Tierchen Pfote für Pfote aus ihrem Haar löste.
»Es ist fort«, sagte er schließlich. »Ich habe es in einen Baum gesetzt.«
»Danke«, murmelte Moira, ohne die Augen zu öffnen. Irgendwo über ihr stieß das kleine Geschöpf Töne aus, die entfernt an das Bellen eines Hundes erinnerten. »Aber … könnt Ihr vielleicht noch mal nachsehen? Ich habe das Gefühl, als wäre da noch etwas.«
Seine Finger strichen sanft über ihre Kopfhaut. Ein Kribbeln stieg ihren Rücken hoch und entfachte eine warme Flamme in ihrem Bauch. Unwillkürlich seufzte sie auf.
Sofort hielt er inne. »Tut Euch etwas weh?«
»Nein«, flüsterte sie. »Es … es fühlt sich nur so gut an.«
Das Streichen ging über in ein sanftes Kraulen, ein leichtes Kreisen mit den Fingerkuppen. Die Flamme in ihrem Bauch loderte heller. Moira biss sich auf die Lippen, um nicht aufzustöhnen, als er ihren Hals berührte. Sein Atem streifte ihre Wange. Seine Hand strich die Haare in ihrem Nacken zur Seite, dann spürte sie seine Lippen an ihrem Haaransatz. Ein weiterer wohliger Schauer durchlief sie, ihr war schwindelig. Träumte sie?
»Nicht«, wollte sie sagen, aber es kam kein Laut aus ihrer Kehle. Sie drehte sich um, tastete im Dunkeln nach ihm und hob ihr Gesicht zu ihm empor.
War dies Wirklichkeit? Oder doch ein Traum? Sie konnte nichts sehen, konnte ihn nur spüren, seine Hände auf ihrem Gesicht, sein Körper so nah bei ihrem. Und wie im Traum ließ sie sich fallen in seinen Kuss, öffnete ihre Lippen, ließ ihn ein. Es war, als hätte sie ihr Leben lang darauf gewartet, so selbstverständlich war es. Und so – zwangsläufig. Dies war es, wonach sie so lange gehungert hatte, das wurde ihr in diesem Moment klar.
»Nein«, keuchte sie, als er sich
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