Das Lied der roten Erde (German Edition)
zu stehen. »Ein wirklich wilder Geselle, dieser Pemulwuy. Vor einigen Jahren wurde dieser Teufel in Menschengestalt bei einer Schlacht von sieben Kugeln getroffen. Man glaubte ihn tot, aber er war nur schwer verwundet. Soldaten brachten ihn ins Lazarett von Parramatta. Dort schwebte er viele Tage zwischen Leben und Tod, und dann, eines Tages – war er fort.«
»Fort?«
»Er floh. Kein Mensch weiß, wie. Er ließ sogar die schweren Fußketten zurück.«
»Die Wilden sagen, er habe sich in einen Vogel verwandelt!«, mischte sich der Junge wieder ins Gespräch. »Sie sagen, keine Ketten könnten ihn halten und keine Kugel ihn verletzen.«
»Papperlapapp, keine Kugel«, warf William Penrith ein. »Der Kerl ist einfach nur zäh. Er muss inzwischen an die acht oder zehn Unzen Blei in sich tragen. Aber früher oder später erwischen wir ihn, und dann ist es aus mit den Überfällen auf unsere braven Siedler!«
»Er verteidigt nur seine Rechte«, gab Catherine sanft zurück. »Entschuldigt mich.« Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge zu Wentworth.
Im nächsten Moment durchdrang ein helles Klingen das Stimmengewirr. Wentworth stand vor dem Buffet und klopfte mit einem Löffel an sein Glas.
»Meine Herrschaften!«, vernahm man seine Stimme. Er räusperte sich und fuhr dann fort. »Bitte, ich möchte einen Toast aussprechen.«
Er wartete, bis das Stimmengewirr erstarb und sich alle Blicke ihm zugewandt hatten. Catherine stand jetzt neben ihm. »Ladies und Gentlemen, verehrte Neuankömmlinge, liebe Alteingesessene, ich danke Euch, dass Ihr so zahlreich hier erschienen seid. Und dass Ihr meinem Buffet so reichlich zugesprochen habt.« Lachen pflanzte sich fort.
»Lasst uns dieses Land feiern, das mich so freundlich aufgenommen und so reich beschenkt hat.« Wentworth hob die Hand, als die Ersten ihm bereits zuprosten wollten. »Als ich heute vor zehn Jahren in Port Jackson landete, war ich ein knapp der Verurteilung entgangener Flüchtling. Und doch hatte ich an Bord der Neptune bereits das Glück meines Lebens gefunden.« Er wandte sich zu Catherine und verbeugte sich leicht in ihre Richtung. Eine leichte Röte überhauchte ihr stupsnasiges Gesicht.
»Dir, meine Liebste«, fuhr Wentworth an sie gewandt fort, »widme ich diesen Abend. Und jetzt, verehrte Gäste, lasst uns die Gläser heben und auf diese wundervolle Frau trinken!« Er zog sie an sich und gab ihr ungeniert einen herzhaften Kuss auf den Mund, sein Glas in der Rechten haltend.
»Nein, so etwas!«, hörte Moira Mrs Zuckerman neben sich murmeln. »Schamlos ist das!«
Moira drehte sich zu ihr um, Wut brandete plötzlich in ihr auf. »Was ist so falsch an der Liebe, Mrs Zuckerman?«, warf sie ihr ins Gesicht.
Mrs Zuckerman starrte sie sprachlos und mit offenem Mund an, ihr Doppelkinn wackelte vor Empörung. Dann fiel Moiras Blick auf McIntyre. Er stand schräg hinter der dicken Frau, ein Glas mit Saft in der Hand, und in diesem Moment hätte sie am liebsten geweint. Dort war ihr eigenes Unglück, verkörpert in einem hässlichen, lieblosen Doktor der Medizin, der sie nur als Zuchtstute betrachtete. Und nicht einmal dieser Aufgabe war sie gewachsen. Aber sie war jung! Sie wollte leben und glücklich sein! Sie wollte nicht an seiner Seite versauern.
Ein Gedanke durchfuhr sie wie ein Blitz: War es diese nicht enden wollende Trostlosigkeit, warum Victoria, McIntyres erste Frau, sich umgebracht hatte? Weil sie es an seiner Seite einfach nicht mehr ausgehalten hatte?
»Und jetzt«, Wentworth hob erneut die Stimme, »möchte ich diejenigen nach draußen bitten, die sich meine bescheidene Pferdezucht ansehen wollen.«
Das ließ sich niemand zweimal sagen. Während sich die Gesellschaft nach draußen begab, trugen einige von Wentworths Sträflingen die zusammengeräumten Essensreste nach draußen.
Wentworth war ein leidenschaftlicher Reiter und plante, demnächst eine eigene Pferderennbahn errichten zu lassen. Ein Gedränge und Geschiebe entstand, als jeder zuerst ins Freie wollte. Vor den Ställen erhellten Fackeln die Nacht. Wentworth nannte ein paar edle Pferde sein Eigen; im Feuerschein glänzten die schwarzen und kupferbraunen Tiere, die von je einem Sträfling gehalten wurden, wie Metall. Ob O’Sullivan auch dort war? In dem Wechselspiel zwischen hell und dunkel konnte Moira kaum Gesichter erkennen.
Ein seltsamer Laut war zu hören, etwas wie ein jammerndes Jaulen. Dann sah Moira, was den Ton
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