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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Parramatta ins Lazarett begleiten und dafür sorgen, dass man die Wunden gut behandelt.«  
    Der junge Sträfling sah ihn kurz an, dann nickte er. »Ja, Sir.«  
    Ob der unerwartete Befehl ihn überrascht hatte? Zumindest würde es ihn lange genug von Toongabbie fernhalten. Lange genug, bis der Major fort war. Alistair wartete, bis auch O’Sullivan auf den Kutschbock geklettert war. Als die beiden Männer aufbrachen, eilte er auf schnellstem Weg nach Hause.  
    Dort rief er nach Ann. »Major Penrith kommt gleich. Lauf schnell hinüber zum Proviantmeister und besorge eine Flasche Rum.«  
    Für einen Moment schien Ann vor Schreck zu erstarren. »Aber Sir … müsste das nicht Duncan, ich meine, O’Sullivan …«  
    »O’Sullivan hat eine andere Aufgabe erhalten. Und jetzt schnell! Beeil dich!«  
    Alistair blieb unschlüssig vor der Tür zu seinem Studierzimmer stehen, dann drehte er sich um, ging in die Schlafkammer und warf einen Blick in den kleinen Spiegel, der auf Moiras einfacher Frisierkommode stand. Ja, seine Halsbinde saß ordentlich. Er neigte dazu, seiner äußeren Erscheinung zu wenig Aufmerksamkeit beizumessen. Dann trat er einen Schritt näher und betrachtete sich genauer.  
    Er wurde alt. Die tiefen Tränensäcke zeugten von zu wenig Schlaf und seine fahle Gesichtsfarbe von zu wenig frischer Luft. Er war jetzt siebenundvierzig Jahre alt und sah aus wie sein eigener Großvater.  
    Entschlossen zog er seinen Rock stramm. Was konnte Major Penrith von ihm wollen? Ob es um O’Sullivans mögliche Beteiligung an dem Aufstand ging? Nein, dann hätte der Major sich anders verhalten. Vielleicht wollte er sicherstellen, dass Alistair nichts über jenen Vorfall bei Wentworth verlauten ließ. Aber als Arzt würde Alistair die ärztliche Schweigepflicht natürlich nicht verletzen. Oder wollte er sich nur über den Fortgang der Forschungen informieren? In diesem Fall würde Alistair ihm seine neuesten Zeichnungen zeigen und seine Überlegungen erläutern. Möglicherweise konnte er den Major sogar wegen einer geschliffenen Linse ansprechen.  
    Es dauerte eine Weile, bis Ann zurückkehrte, atemlos vom Laufen, aber tatsächlich mit einer Flasche Rum unter dem Arm.  
    »Wieso hat das so lange gedauert?«, fragte er, nicht ganz so ärgerlich, wie er sich anhören musste. Immerhin war der Major noch nicht eingetroffen.  
    »Entschuldigung, Sir.« Anns Stimme war wie immer kaum zu hören. »Ich habe den Proviantmeister nicht gleich gefunden. Und dann –«  
    »Ja, ja, schon gut. Du hast ja das Richtige mitgebracht.«  
    Der Major ließ nicht mehr lange auf sich warten. Er war kaum eingetreten, als er sich auch schon schwungvoll auf einem Stuhl in der Wohnstube niederließ. Ann schenkte ihm mit sichtlich zitternden Fingern Rum ein und zog sich dann in eine Ecke der Stube zurück.  
    »Nun, McIntyre«, der Major griff nach seinem Glas, »wie kommt Ihr voran mit Eurer bahnbrechenden Erfindung?«  
    Alistair seufzte unhörbar auf. Ging es tatsächlich nur darum? »Oh, bestens, Sir.«  
    Der Major nahm einen Schluck, dann lehnte er sich zurück und schlug ein Bein über das andere. Seine wohlgeformten Waden kamen in den eng geschnittenen Stiefeln bestens zur Geltung. »Zeigt es mir!«  
    »Was?«, fragte Alistair irritiert.  
    »Das Instrument oder wie immer Ihr das Ding nennt. Ich will es sehen. Und beeilt Euch, ich habe nicht viel Zeit!«  
    Alistair erhob sich zögernd und deutete eine Verbeugung an. »Ich bin sofort zurück.« Er ging hinaus und nestelte an dem Band seiner Westentasche, an dem er die Schlüssel trug. Die Tür zu seinem Studierzimmer war schnell aufgeschlossen. Da, die Kiste. Herrgott, das Schloss klemmte schon wieder!  
    »McIntyre!« Die Stimme des Majors. »Was dauert das so lange?«  
    »Sofort, Sir, ich bin gleich zurück.« Er war doch kaum eine Minute fort! Der Major genoss es wahrhaftig, seine Macht herauszukehren und seine Untergebenen zu schikanieren.  
    Endlich, das Schloss war offen. Alistair griff nach dem oculus introspectans , dann auch nach dem Futteral mit dem kurzen Röhrchen, seinem ersten Prototypen. Er ließ den Kistendeckel zurückfallen. Jetzt nur noch zuschließen – Herr im Himmel, der Schlüssel wollte sich einfach nicht drehen lassen.  
    »Habt Ihr Euch in Luft aufgelöst, McIntyre?«  
    »Ich komme, Sir!« Er würde sich später um das Schloss kümmern. Hastig eilte er aus dem Zimmer, warf die Tür hinter sich zu und war zurück in der Wohnstube.

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