Das Lied der roten Erde (German Edition)
treiben. Sie griff die Zügel fester. Plötzlich ging ein heftiger Ruck durch den Karren. Moira wurde fast vom Kutschbock geworfen und konnte sich im letzten Moment festhalten.
»Wir stecken fest!«, rief sie.
Duncan blickte zurück, dann trieb er das Pferd erneut an. Das Tier zog, stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht ins Geschirr, bis die harten Muskelstränge an den Flanken hervortraten. Der Karren bewegte sich nicht.
Schließlich gab Duncan auf, ließ das Pferd los und watete ein paar Schritte zurück.
»Was hast du vor?«
»Nachsehen.« Im nächsten Moment war er untergetaucht.
Moira hatte nie schwimmen gelernt, aber das traf offenbar nicht auf Duncan zu. Die Sorge um ihn ließ sie ganz zappelig werden. Ob sie vom Karren klettern sollte? Nein, besser nicht. Und so blieb sie sitzen und zählte gegen die Angst an. Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Wo blieb er nur?
Sie hatte sich gerade entschieden, doch herunterzuklettern, als er lautlos wie ein Wassergeist wieder auftauchte. »Ich fürchte, wir müssen den Karren aufgeben. Die vordere Achse ist gebrochen.«
»Kann man das nicht irgendwie reparieren?«
»Wenn du mir verrätst, wie du den Karren ans Ufer bringen willst.« Duncan schüttelte das Wasser aus seinen dunklen Haaren, ein Schauer ging durch seinen Körper. »Komm. Wir müssen das Pferd ausschirren.«
Er reichte ihr die Hand und half ihr vom Wagen. Sie schnappte nach Luft, als das kalte Wasser ihre Kleidung durchdrang und Beine und Bauch umspülte. Sich am Karren festhaltend, folgte sie Duncan zitternd nach vorne und hielt das Pferd fest, während er das Tier von seinem Geschirr befreite. Dann kämpften sie sich Schritt für Schritt gemeinsam weiter durch die eisigen Fluten. Die Strömung zerrte an ihr und ließ ihren langen Mantel wie Flügel treiben.
Als sie endlich das andere Ufer erreicht hatten, ließen sie sich zu Boden sinken – erschöpft, mit nassen Kleidern und durchgefroren bis ins Mark.
Moira warf einen Blick zurück auf den Karren in der Flussmitte. Die kräftige Strömung hatte ihn umgekippt und schwemmte ihn nun langsam davon. Sie hätte beinah geweint. Dieser Rückschlag war fast mehr, als sie ertragen konnte. Weiter hinten sah sie McIntyres Dreispitz davontreiben.
Duncan zog sie an sich. »Geht es dir gut? Deine Lippen sind ganz blau.«
Sie versuchte ein kleines, zittriges Lächeln und nickte. »Deine auch.«
»Ein Gutes hat die Sache wenigstens. Die Strömung trägt den Karren flussabwärts. Niemand wird wissen, wo man nach uns suchen soll.«
Moiras Zähne klapperten unkontrolliert. »Vielleicht werden … sie denken, wir … sind ertrunken.«
»Aber das sind wir nicht.« Auch Duncan unterdrückte nur mit Mühe ein Zittern. »Und wir haben immer noch das Pferd.«
*
Ohne den Karren kamen sie nur langsam voran. Manchmal ritt Moira auf dem Pferd, das als Kutschpferd natürlich keinen Sattel hatte, aber die meiste Zeit mussten sie es führen, da das Gelände zum Reiten zu uneben war. Ihre nassen Sachen trockneten am Körper, in ihren Schuhen stand die Nässe, ihre Füße waren fast taub. Moira hatte ihren langen Rock minutenlang ausgewrungen, aber am Ende tropfte er immer noch und lag unangenehm feucht und kalt auf ihren Schenkeln.
Je näher sie den Bergen kamen, umso felsiger wurde der Untergrund. Die Bäume standen dicht, der würzige Geruch von Eukalyptus mischte sich mit dem süßlichen Duft der Akazie, deren goldgelbe Köpfe aus Bündeln kleiner duftiger Blüten bestanden. Überall wuchsen Blumen. Moira hatte noch nie Pflanzen von solcher Form und Pracht gesehen – Sträucher mit schwertähnlichen Blättern und handtellergroßen, kugelförmigen Blüten von flammendem Scharlachrot. Doch so schön es war, so kalt war es auch. Und noch schlimmer als die Kälte war der Hunger. Seit zwei Tagen hatten sie kaum etwas gegessen. Immer wieder kehrten Moiras Gedanken sehnsüchtig zu ihrer gut gefüllten Speisekammer zurück. Zu dem Gemüse, den Eiern und dem Brot. Und zu dem Schinken.
Am Abend machten sie unter einem kleinen Felsüberhang Rast. Das Pferd, das sie an einem Baum angebunden hatten, zupfte an etwas Gras, was Duncan darauf gebracht hatte, ebenfalls ein paar Gräser zu sammeln. Was für ein Pferd gut war, konnte dem Menschen wohl nicht schaden. Moira kaute vorsichtig. Es schmeckte scheußlich, aber zumindest vertrieb der bittere Pflanzensaft das nagende Hungergefühl aus ihren Eingeweiden.
Als die
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