Das Lied der roten Erde (German Edition)
Duncan, der an ihre Seite getreten war. Er kniff die geröteten Augen zusammen. »Was … was macht Ihr hier, Mrs … McIntyre? Und wer … ist der Gentleman in Eurer Begleitung?« Er mochte betrunken sein, aber er hatte noch genug Verstand, um die ungewöhnliche Situation zu erkennen.
Moira zögerte. »Das hat Zeit. Ich … ich komme ein anderes Mal wieder. Bitte, Dr. Wentworth«, sie ging ganz nah an sein Ohr. »Wir sind nie hier gewesen!«
Er sah sie an. Sein verschleierter Blick ging erneut von ihr zu Duncan, und für einen Moment blitzte Verstehen in seinen Augen auf. Er nickte mehrmals kurz.
»Möge Gott Euch in Seiner Hand halten«, flüsterte er einen irischen Segen, dann drehte er sich wieder zur Anrichte um.
»Und Euch, Sir«, gab Duncan zurück und zog Moira aus dem Zimmer. Sie sah gerade noch, wie Wentworths Schultern wieder zu zucken begannen, als er mit brüchiger Stimme ein Trauerlied anstimmte.
»Er hat Catherine sehr geliebt«, murmelte Moira, als sie Wentworths Farm verließen. »Was soll bloß aus seinen drei Kindern werden? Die Ärmsten müssen jetzt ohne Mutter aufwachsen!« Ein langgezogenes Schluchzen brach aus ihr heraus, sie schlug die Hände vors Gesicht. Catherine war ihre Freundin gewesen, der einzige Mensch neben Duncan, dem sie sich bedingungslos anvertraut hätte. Sie weinte hemmungslos.
Wortlos lenkte Duncan den Karren, bis er in dem kleinen Waldstück hinter Wentworths Farm anhielt und sie in den Arm nahm. Ein Vogel mit grauem Gefieder und roter Brust beäugte sie von einem Ast herab. Allmählich versiegten Moiras Tränen, und die Tragweite des Todesfalls drang auch zu ihr durch.
»Was sollen wir denn jetzt tun?« Schniefend wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Es ist nicht weit bis Toongabbie. Wenn du dort« – Duncan wies auf einen schmalen Pfad – »entlanggehst, wirst du bald auf eine Straße stoßen. Dann kannst du noch vor Einbruch der Dämmerung –«
»Was soll das?«, unterbrach Moira ihn. »Ich gehe nicht wieder zurück!«
Er sah sie traurig an. »Doch, das wirst du. Wenn du Glück hast, wird McIntyre sich nicht daran erinnern, was geschehen ist. Sag ihm einfach, ich hätte dich zu dieser … dieser Sache gezwungen.« Er wandte den Blick ab. »Es war ein schöner Traum. Aber jetzt musst du gehen.«
»Wieso sagst du so etwas?«, fragte Moira fassungslos. »Willst du mich loswerden? Bin ich plötzlich zur Last für dich geworden?«
Duncan blickte stur vor sich hin. »Ich bin ein Sträfling. Jetzt sogar ein entflohener Sträfling. Sie werden schon bald nach mir suchen. Und wenn sie mich erwischen –«
»Das werden sie nicht!«, fiel Moira ihm ins Wort.
Seine Finger verkrampften sich um die Zügel, dann öffneten sie sich wieder. Tief sog er die Luft ein, als hätte er vorher vergessen zu atmen. »Du bist also immer noch entschlossen mitzukommen?«
Sie nickte wortlos, mit zusammengebissenen Zähnen.
Endlich sah er sie an. »Ich liebe dich«, sagte er leise.
Moira schluckte, ihre Augen brannten. Sie wollte etwas erwidern, aber sie fand keine Worte. Für einen kurzen, innigen Moment trafen sich ihre Finger, schlangen sich ineinander. Seine Finger waren genauso kalt wie ihre. Dann holte die Wirklichkeit sie wieder ein.
»Kennst du noch jemanden, der uns helfen könnte?«, fragte er.
Moira dachte nach. Elizabeth Macarthur? Nein. Für Elizabeth war die Ehe heilig. Sie würde nie gutheißen, dass Moira ihren Mann verlassen hatte und mit einem Sträfling durchgebrannt war. Mutlos schüttelte sie den Kopf und legte ihn an Duncans Schulter. »Hast du denn keine Idee?«
»Doch«, sagte er, »zwei. Wir könnten nach Sydney fahren, zum Hafen, und dort versuchen, auf ein Schiff zu gelangen. Eines nach Europa. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie wir das anstellen sollen, ohne entdeckt zu werden. Und ohne Geld.«
Moira hob den Kopf. »Nein!«, erwiderte sie bestimmt. »Das kommt überhaupt nicht in Frage. In Sydney und auf dem Weg dorthin wimmelt es von Rotröcken! Und was soll ich denn in Europa? Zurück zu meinen Eltern? Ganz sicher nicht! Was ist die zweite Möglichkeit?«
»Es sind schon einige Sträflinge geflohen«, sagte er statt einer Antwort. »Und nicht alle von ihnen wurden wieder eingefangen.«
»Soll das heißen, du weißt, wohin sie gegangen sind?«
Duncan zögerte kurz. »Nach China.«
»China? Marco Polos China? In Asien? Dann brauchen wir aber auch ein
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