Das Lied der roten Erde (German Edition)
manchmal vorkam, als würde sie das alles nur für ein großes Abenteuer halten. Vielleicht besaß sie aber auch lediglich die beneidenswerte Fähigkeit, für den Augenblick zu leben.
Seine Blase drückte. So leise wie möglich stand er auf, ging einige Schritte und erleichterte sich hinter einem Strauch. In den gelben Blüten der Akazie summten Bienen. Eine von ihnen landete, die Hinterbeine beladen mit dicken gelben Pollenpaketen, neben ihm auf der Erde, putzte sich, vollführte eine kurzen wackelnden Tanz und flog wieder davon.
Auf dem Rückweg fiel sein Blick auf einen kleinen Felsen, auf dem ein paar würfelförmige Gebilde lagen, dunkel wie Torf und mit einer Kantenlänge von vielleicht knapp über einem Zoll. Vorsichtig roch er daran. Das war nichts Essbares, sondern das genaue Gegenteil. Irgendein Tier musste hier seinen Kot hinterlassen haben. In eckiger Form. Damit er nicht herunterrollen konnte? Ein wahrhaft wundersames Land mit wundersamen Geschöpfen, das Gott hier geschaffen hatte.
Ein Laut wie ein verärgertes Luftausstoßen ließ ihn innehalten. Ganz langsam sank er zu Boden, ging hinter einem Strauch in Deckung und verhielt sich still. Und wirklich; es dauerte keine Minute, bis der Verursacher des Geräuschs herangewackelt kam. Duncan hätte fast gelacht, als er das Tier erblickte. Es sah aus wie eine Mischung aus Dachs und Schwein, mit kurzen Stummelbeinen und platter Nase. Sein Fell war von dunklem Braun, und sein Gebiss zeigte kräftige Nagezähne. Dieses schwerfällige Geschöpf würde sich leicht fangen lassen. Vielleicht gelang es ihm heute sogar, Feuer zu machen? Vor seinem geistigen Auge tauchte bereits ein saftiger Braten auf, der ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.
Duncan verharrte regungslos hinter dem Strauch. Erst als das Tier begann, an einem Grasbüschel zu rupfen, sprang er auf und stürzte sich auf seine Beute.
Das Tier war keinesfalls so schwerfällig, wie sein Aussehen glauben ließ. Mit einem heiseren Quieken preschte es los, rannte gegen Duncans Beine und schoss dann durch die Büsche davon. Die Wucht des Aufpralls brachte Duncan zu Fall. Dieses kleine Vieh hatte ihn glatt umgerannt! Schnell kam er wieder auf die Füße und setzte ihm nach.
Er war kein schlechter Läufer, aber für diese Jagd war er zu langsam. Das fremdartige Tier flüchtete schnell wie der Wind, rannte über das unebene Gelände und eine grasbewachsene Lichtung, bis es plötzlich wie vom Erdboden verschluckt war. Duncan blieb stehen, wütend und keuchend, bis er etwas zu hören glaubte: ein leises, amüsiertes Lachen. Hatte ihn etwa jemand bei dieser unrühmlichen Hatz beobachtet?
»Moira?«
Niemand antwortete. Kein neues Lachen ertönte. Resigniert hob er die Schultern und machte sich auf den Weg zurück.
*
Die Berge waren gewaltig. Obwohl sie seit dem frühen Morgen unterwegs waren, schien es Duncan, als wären sie kaum vorangekommen. Über ihnen ragten steile Abhänge auf. Jeder Schritt war schwerer als der davor, die Füße fühlten sich an, als wären sie aus Blei. Der Hunger nagte in ihnen. Während Duncan das Pferd führte, gaukelte ihm seine Phantasie Bilder von Tischen mit gebratenen Hühnern vor, Tellern voller Kartoffeln und Mais, Brot und Karotten.
Wärme und Nahrung. Wie wichtig doch diese beiden Grundbedürfnisse werden konnten. Wovon ernährten sich eigentlich die Eingeborenen, die hier lebten? Irgendwie musste es ihm gelingen, mit ihnen in Kontakt zu treten. Vielleicht kannten sie sogar diese geheimnisvolle Straße durch die Berge.
Moira, die sich vor ihm herschleppte, blieb stehen. »Warte«, sagte sie erschöpft. Er konnte sehen, dass sie am Ende ihrer Kräfte war. »Ich brauche eine kurze Pause.«
Sie hatten kaum das Pferd angebunden und sich unter einem Baum niedergelassen, als Moira schon wieder aufstand. »Ich bin gleich zurück.« Eilig verschwand sie hinter einem Gebüsch.
Duncan lehnte sich an einen Baum und ließ das Pferd grasen. Moira bereitete ihm zunehmend Sorgen. Die ungewohnte Anstrengung, vor allem aber Hunger und Kälte setzten ihr zu. Außerdem würde das Wetter bald wieder umschlagen. Über den Bergen hingen dunkle Regenwolken, und ein kalter Wind ging durch die Bäume. Wann würden sie endlich die Straße finden? Gab es diese Straße und das sagenhafte Land hinter den Bergen überhaupt, oder war das alles nicht doch nur Wunschdenken, erdacht von freiheitshungrigen Sträflingen? Zum ersten Mal erlaubte Duncan
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