Das Lied der schwarzen Berge
geht?! Irgendwie verletzt Ihr Bau das Naturgesetz, das sogar ein Tier respektiert!«
Ralf Meerholdt blieb stehen und streckte die Hände vor. »Wir haben im Krieg auch wochen- und monatelang ohne eine Frau gelebt! Es muß einfach gehen!«
»Mußte es wirklich?« Der Hauptmann lächelte entschuldigend. »Wie war es in der Etappe? Die Mädchen der besetzten Dörfer, die weiblichen Militärangehörigen, die Mädchen von der Bahn, der Post, den Lazaretten …«
»Es lagen Monate dazwischen! Im Bunker oder in der Stellung kannten wir nur eine Sorge: Überleben! Wir dachten an die Frauen – aber wir entbehrten sie nicht, weil unsere Umgebung zu schrecklich war, um daran zu denken.«
»Das ist es!« Der Hauptmann trat an das Fenster und blickte hinaus auf den Hof. Die Mittagsschicht strömte in die Kantine, die Blechteller in der Hand. »Sehen Sie einmal aus dem Fenster, Herr Meerholdt. Da gehen die Jungen zum Essen! Was gibt es? Nicht Kapusta mit Wasser, nicht Dörrgemüse oder Trockenfisch, sondern Paprikagulasch mit Klößen! Für alle tausend Mann! Gepfeffertes Fleisch! Und morgen soll es Nudeln geben mit Bouillon. Sehr fetthaltig, sehr nahrhaft. Herr Meerholdt – die Leute platzen aus dem Anzug! Trotz der Arbeit! Trotz Kälte, trotz Schnee, trotz des Schweißes, den sie an der Staumauer vergießen!«
»Dann werde ich das Essen reduzieren.« Meerholdt sah über die Schulter hinweg auf die Schlange, die sich in die große Eßbaracke drängelte. »Man hat mir gesagt, die Italiener wollten aus Niksic mit Transportkisten heimlich Frauen ins Lager holen und verstecken. Das würde die ersten Morde bedeuten!«
Der Offizier nickte. »Darin bin ich mit Ihnen einer Meinung. Mit den Italienern fängt es an und mit einer Schlacht um die Mädchen hört es auf.«
»Was soll ich also tun?« sagte Meerholdt und hob die Arme.
Die Frage blieb offen. Doch die Sorge wuchs und wuchs, je stärker der Schnee fiel und das Tal fast von der Außenwelt abschnitt. Nur mit Kettenfahrzeugen konnte die einzige Straße nach Zabari befahren werden, es war wie der Durchbruch in eine verlorene Welt. Jede Nacht türmten sich die Schneeberge von neuem auf; sie mußten am Morgen mit schweren Räumern zur Seite in die Schluchten gedrückt werden.
In diesen Tagen gab es die ersten Toten. Ein Raupenschlepper kam auf der abschüssigen Straße ins Rutschen und stürzte vierzig Meter tief in eine Schlucht. Die vier Männer, die auf dem Weg saßen, fand man erst nach drei Tagen. Wie Granaten hatten sie sich in den tiefen Schnee gebohrt. Sie wurden am Fuße des Bergwaldes begraben. Bedrückt standen die tausend Männer um die offenen Gräber, als Ralf Meerholdt die letzten Worte des Abschieds sprach. »Wir alle stehen an einem Abgrund«, sagte er doppelsinnig. »Wir müssen unsere Herzen fest in die Hand nehmen, um unseren Damm nicht mit Blut zu bauen …«
Der Tod der vier Kameraden brachte für einige Tage Stille in die tausend Mann. Pietro Bonelli hatte seit einer Woche keine Nachricht von Katja bekommen und haßte die Welt und alles, was auf ihr herumlief. Er hatte die Transportkolonnen ausgefragt – sie hatten Katja Dobor nicht in Foca gesehen. Bonelli raufte sich die Haare und jammerte. Sie ist mit einem anderen Mann fortgegangen, simulierte er. Sie ist bestimmt weg, denn wo sollte sie hin in Foca? Oh, diese Weiber! Diese verdammten Weiber! Dieses Unglück unserer Erde! Er setzte sich hinter eine Flasche Chianti und starrte traurig in den rieselnden Schnee und auf die dunklen Felsen. Am Abend war er sinnlos betrunken und wurde von zwei Küchengehilfen ins Bett geworfen.
Am Bau wurde von Tag zu Tag weniger gearbeitet. Der Frost in den Nächten verhinderte alle Betongüsse … statt dessen wurden Hindernisse gesprengt, Felsen, die im Wege standen. Das Bersten und Krachen des Gesteins zerriß die weiße Stille. In den Werkstätten wurden die Fahrzeuge und Maschinen überholt … Motorsägen schnitten die eisenharten Stämme zu Rund- und Stützhölzern und zu Brennholz für die großen, runden, eisernen Barackenöfen. In der Schmiede entstanden neuartige Schneeräumer, die jedem Wagen vorgesetzt wurden, der über den steilen Weg hinaus in die Welt fuhr. So erreichte man, daß die Straße einen großen Teil der Tage schneefrei und befahrbar gehalten wurde und weitere Unglücke nicht stattfanden.
Aus Budapest war ein Brief gekommen. Elena war zu Besuch bei einer Tante. Stanis Osik hatte sie dort zurückgelassen und saß wieder in Zagreb in seiner
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